Prof. Cornelia Koppetsch – Professur für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung, TU Darmstadt

Tischrede Prof. Cornelia Koppetsch bei dem Frauenmahl am 29. Oktober 2015 in Groß-Umstadt

Top Girls und aktive Väter: Neue Frauen- und Männerbilder
 
Ich möchte hier sprechen nicht über die klassischen Geschlechterbilder, über Barbie und Mutter Theresa, über Ken und George Cloony, sondern über neue Frauen- und neue Männerbilder, über moderne Rollen. Was ist neu an diesen Bildern – so möchte ich fragen. Und was verdecken sie?
Zunächst zu den Frauen. Neu an den Frauenbildern der Gegenwart ist die enorme Präsenz von Erfolgsfrauen – die neue Sichtbarkeit von Frauen. In wachsender Zahl verlassen sie das ihnen über mehr als zwei Jahrhunderte angediente Innere des Hauses und treten in das volle Licht des öffentlichen, politischen und beruflichen Lebens. Ob Sandra Maischberger, Christine Lagarde, Margot Käßmann, Julia Jäckel oder Anne Will: Frauen besetzten erste Reihen in Medien, Politik, Unternehmern und Kirche. Sie sind TV-Mordkommissarinnen und Talkmeisterinnen präsent auf den Bühnen dieser Welt. Frauen sind sichtbar, „auf dem Sprung“ und sie wollen „an die Spitze“. Angela McRobbie eine wichtige Denkerin des zeitgenössischen Feminismus spricht von Top Girls.
 
Doch ist alles Gold was sichtbar glänzt? Zu fragen ist daher, welche Frauen sichtbar werden. Auf welche Frauen sich das Scheinwerferlicht richtet – und wen und was diese Bilder in den Schatten stellen. Und hier zeigt sich: Es ist nicht notwendig ein Vorteil für die Mehrheit Frauen, in erster Linie erfolgreiche Frauen zu sehen. Die Bilder bilden die Realität nicht einfach ab, sie produzieren Nebenwirkungen und latente Botschaften. Sie enthalten – mit anderen Worten – Subtexte.
Welche sind das?
 
So trägt, um nur ein Beispiel zu nennen, das gleißende Licht, in das Angela Merkel getaucht ist, zum Verschwinden der Tatsache bei, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von allen Fraktionen im deutschen Bundestag den niedrigsten Frauenanteil aufweist (20%). Und die vielfach hervorgehobene siebenfache Mutterschaft der Ministerin Ursula von der Leyen verdeckt, dass Mutterschaft für die allermeisten Frauen ganz und gar nicht in Toppositionen sondern bereits in jungen Jahren ins berufliche Aus, d.h. in unterbezahlte Teilzeitbeschäftigungen ohne Aufstiegs- und Karrierechancen, mündet.
 
Die Sichtbarkeit weniger Exzellenzfrauen verschleiert, so meine zentrale These, die Grundzüge eines neuen Geschlechtervertrags. Dieser Geschlechtervertrag besagt: Frauen dürfen gegenwärtig unter der Bedingung in Erscheinung treten, dass der Feminismus von der Bildfläche verschwindet. Frauen kommen nur dann in Toppositionen, wenn sie patriarchale Strukturen nicht in Frage stellen.
Denn neuen Frauen, die Alpha-Mädchen, jammern nicht! Sie sind nicht männerfeindlich, haben „Knallersex“ (Thea Dorn), viel Erfolg und trotzdem Spaß. Das heißt im Umkehrschluss: Der „alte“ Feminismus, immer wieder in der Person von Alice Schwarzer repräsentiert, wird als Jammerchor männerhassender, verklemmter und meist älterer Frauen karikiert. Darin zeigt sich eine Abgrenzung gegenüber dem früheren, dem politischen Feminismus. Der frühere Feminismus wird als eine von Wut und Feindschaft gegenüber Männern getragene Bewegung karikiert, indem man seine Protagonistinnen als unsexy diffamiert.
 
Die Existenz und das Selbstverständnis der Topfrauen werden somit als Beleg dafür herangezogen, dass es angeblich keine Diskriminierung von Frauen mehr gibt. Deshalb möchte ich hier auch von einem postfeministischen Geschlechtervertrag sprechen. Thea Dorn und andere Erfolgsfrauen der Medienwelt, die sich selbst als Alpha-Mädchen bezeichnen, behaupten, dass die Gleichberechtigung schon erreicht und der alte Feminismus obsolet geworden sei.
 
Die Sichtbarkeit der Top-Frauen in Medien und Öffentlichkeit suggeriert nämlich, dass jede Frau es schaffen kann, wenn sie sich nur anstrengt und gut genug ist. Verdeckt wird dabei, dass die große Mehrheit der Frauen in fast allen Lebensbereichen weiterhin gravierende Benachteiligungen gegenüber Männern ausgesetzt sind, so dass sie von den Toppositionen und Topfrauen nur träumen können. Sie verdienen trotz gleicher Qualifikation nicht die gleichen Gehälter und sind in den Vorständen und Unternehmensspitzen in homöopathischen Dosen vertreten. Und vor allem gibt es in Familie und Paarbeziehung bis heute keine gerechte Aufteilung von Haus- und Erziehungsarbeit. Wie eine gerade von mir und Sarah Speck durchgeführte Studie „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ (Suhrkamp 2015) zeigt, tragen Frauen die Hauptverantwortung für die Familie und den Haushalt selbst meist auch dann, wenn sie zu Hauptverdienerinnen der Familie werden.
 
Doch bleiben diese Ungleichheiten hinter der Rhetorik der freien Wahl und der autonomen Lebensgestaltung meist verborgen. „Ich habe mich jetzt entschieden, die Wäsche zu machen, zu Hause bei dem Kind zu bleiben“ oder „Ich habe mich jetzt gegen eine wissenschaftliche Laufbahn entschieden“. Der neoliberale Individualismus mit seinen Tropen der freien Entscheidung und Selbstverantwortung ist der wichtigste Pfeiler des postfeministischen Geschlechtervertrags. Die betroffenen Frauen schreiben sich ihre mickrigen Gehälter, ihre männlichen Partner mit dem fehlenden Sinn für Sauberkeit und der mangelnden Zeit für Kinderbetreuung, ganz allein sich selbst zu. Wie gut eine Frau es dann schafft, bei sich zu Hause Gleichberechtigung zu erkämpfen, wird als eine Frage ihres persönlichen Geschicks oder ihres Händchen bei der Partnerwahl. Wer hier auf die Persistenz patriarchaler Strukturen aufmerksam macht, riskiert unweigerlich als Spielverderber und Feminismus-Jammerlappen hingestellt zu werden.
 
Und die Unmöglichkeit mit kleinen Kindern an der eigenen Karriere zu basteln wird von den jungen Müttern als individuelles Versagen interpretiert. Warum, so könnte man sich fragen, wird von Seiten der Politik zwar an einer bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Einrichtung von Betreuungsanstalten, etc., gearbeitet doch diese Angebote dabei stets an die Frauen gerichtet?
 
Vor diesem Hintergrund – und ich komme nun zu einem der erfolgreich propagierten den Männerbildern – ist auch das medial verbreitete Bild des neuen Mannes eine Sichtbarkeit, die große Schatten wirft. Vor allem bei den jungen, modernen Paaren sind die Projektoren auf den beziehungsfähigen, sensiblen neuen Mann gerichtet, den zärtlichen Vater inmitten von Strampelanzügen und Babyfläschchen. Doch die Wirklichkeit sieht – wie wir aus zahllosen Studien wissen – meist anders aus. Väter, die ihre Erwerbsarbeit nach der Geburt reduzieren oder mehr als die zwei Pflichtmonate Elternzeit nehmen sind nach wie vor eher selten. Übrig von den guten Vater-Vorsätzen bleiben zumeist nur das Zubettgehritual nach Feierabend, der Gang auf den Spielplatz am Samstag und der Sonntagsauflug mit der ganzen Familie. Männer, die ihren Kindern mehr Zeit widmen, oder gar ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, gehen in die Sozialforschung als „aktive Väter“ ein und werden sogleich ins Fernsehen gezerrt. Da dies aber stets ihre persönliche Entscheidung bleibt, können sie sich jedoch jederzeit aus dem Projekt Familie zurückziehen, während Frauen neben ihrer Berufstätigkeit wie selbstverständlich weiterhin ihre traditionelle Rolle im Haushalt wahrnehmen.

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