Prof. Dr. Frigga Haug – Soziologin, Philosophin, Esslingen

Hamburg, 02.05.2013

Den Spieß umkehren: Teilzeitarbeit für alle

Ich erinnere an ein Gedicht von Dorothe Sölle am Grab von Marx mit ihm redend in Ehrerbietung

„und falls ich mein frausein eine zeitlang vergessen hab

um eine gute sozialistin zu werden

hol ich es wieder hervor

und bringe es ein

der sozialismus stell ich mir vor

ist doch ein haus mit vielen wohnungen

und fange streit mit euch an

ob die arbeit wirklich das ganze leben

und die ganze tätige selbstbestimmung ist

ob nicht der querschnittsgelähmte junge im krankenhaus

wenn ich euch richtig verstanden hab

arbeitet

wenn wir das weibliche denken lernen

werden wir all eure begriffe

erweitern müssen wie röcke

weil wir pausenlos

in anderen umständen sind." 

(Quelle: Schwierigkeiten mit chuck`n freddy, in: Argument-Sonderband 100, 1983.)

Fangen wir damit an:

Über Arbeit haben wir uns schon lange verständigt, dass Lohnarbeit nicht alle Arbeit meint – sondern nur die in Erwerbsform gefangene, nicht die viele übrige zumeist von Frauen getane Arbeit, die nicht das Los traf, dass sie mit Gewinn ausbeutbar wäre,

nicht der Mensch gefasst als Maschine, wie Peter Hartz uns klarmachte: Weil der Mensch zu lange Kind ist, oder zu alt, krank, oder Erholung will, Sonn- und Feiertag, Urlaub gar – sollte er als Mensch eben rennend, rackernd rasend, fit flexibel, fantastisch sich verausgaben (wie Hartz im Werbestabreim spricht) in der wenigen Zeit, die er nützlich für den Gewinn bleibt.

Wir meinen andere Arbeit auch.

Nehmen wir uns den nächsten Begriff vor:

Teilzeitarbeit, über den ich sprechen wollte, als Forderung für alle. Auch dieser Begriff hat es in sich. Er trägt schwer an gewerkschaftlichen Kämpfen, seine Passform zu vermeiden. Er ist belastet, weil er einen schlechten Umgang hat mit zu vielen Frauen. In Teilzeit kann man keine Karriere machen, nicht auf genug Geld zum Leben hoffen, auch nicht auf Anerkennung, schon gar nicht auf Sicherung im Alter. „Wer Teilzeit arbeitet, braucht jemanden, der sie ernährt“, sagte ein Arbeiter nach der Karstadtpleite, „dass sie widerstandslos in Teilzeit arbeiten, heißt doch, dass sie auf Kosten ihrer Männer leben.“ Und beharrte damit auf seinem vollen Erwerbsarbeitsplatz und dass seine Gewerkschaft den für ihn sichere als ein gutes Leben und gute Arbeit. Der Begriff Teilzeitarbeit hat ringsherum einen schlechten Beigeschmack nach Versagen, Ungenügen und Unglück.

Wir lassen ihn uns auf der Zunge zergehen: Teil-zeit und dann auch sein Gegenteil Voll-zeit. Wollen wir wirklich unsere volle Zeit, in der wir stark genug und schöpferisch sind, lebendig und heiter in einer Lohnarbeit zugunsten vermehrten Gewinns von irgendwem und für irgendwas verbringen? Wollten wir nicht wenigstens wissen, für was wir so voll arbeiten und für wen, zu wessen Nutzen und auch mitbestimmen, wie wir arbeiten? Die Frage dehnt sich ungemütlich aus, bringt viele neue Fragen hervor. Wir sind schon wieder in anderen Umständen, erweitern den Rock um die Frage nach der Zeit, die wir brauchen, über unsere Verwendung von Zeit nachzudenken und über den Sinn des Lebens, über die Gewinne, über unseren Zorn, der Abnahme von Vollzeiterwerbsarbeitsplätzen verzweifelt nachzusehen statt fröhlich, weil dies doch das Zeichen ist, dass so viel Arbeit – im alten Sinn nicht mehr gebraucht wird.

Wieso, um in die geläufige Sprache zu wechseln, können wir nicht alle bei struktureller Arbeitslosigkeit und immer weiterer Entwicklung der Produktivkräfte, auf dass die eingesetzte Arbeit noch weniger werde, – warum also können wir nicht alle nurmehr vier Stunden arbeiten statt acht plus Überstunden und nurmehr bis 60, da wir noch gesund sind und etwas Neues beginnen können, statt der Regierung zu überlassen, über ein Rentenalter von siebzig nachzudenken, ohne angemessene Arbeit zuvor und keine Fürsorge danach für den schäbigen Rest?

Wir haben uns ungemütlich eingerichtet in einem Leben, das alle lebendige Zeit nichtig vergeudet, das Leben und seine Versorgung unwichtig denkt, daher Frauen überlässt, uns wenig Raum lässt für die Muße, über das Leben nachzudenken und die Liebe nicht zu vergessen. Auch nehmen wir an, dass wir an dieser Verteilung unbeteiligt sind und also nichts anders machen können.

Es ist an der Zeit, aufzuwachen, Teilzeitarbeit für alle zu fordern, sodass Teilzeit Vollzeit ist und beide Begriffe nicht mehr sinnvoll sind. Aber die neue halbierte Erwerbsarbeitszeit erlaubt uns endlich, uns als Menschen betätigen zu können, widerständig streitend an der Sache der Menschheit und dies als Politik zu begreifen, als Liebende Fürsorge tragend für andere und uns selbst, uns nicht zufrieden zu geben mit zu wenig, sondern alle Sinne entfaltend, auch an der Arbeit selbst maßnehmend, dass sie nicht als entfremdete bloße Verausgabung von Kraft sei, sondern menschlich angemessen.

Ich nenne das die Vier-in-Einem-Perspektive als Ziel, als Rahmen für tätiges Menschsein und seine sinnvolle Füllung.

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