Prof. Dr. Ines Heindl a.D. Europa-Universität Flensburg

Tischrede beim Frauenmahl in Munkbrarup am 28.10.2018

Prof. Dr. Ines Heindl a. D., Europa-Universität Flensburg

Essen ist Kommunikation – Esskultur und Ernährung für eine Welt mit Zukunft

Im Rahmen des heutigen Menüs mit meinem Thema genau in der Mitte der Speisenfolge plaziert zu sein, verstehe ich ganz im Sinne des Themas „Essen ist Kommunikation“. Wir sind an Tischen zusammengekommen, essen und reden. Es ist leicht zu verstehen, wie Essen und Reden, Kommunikation und Tischatmosphäre zusammenhängen, jedoch fällt es den Menschen durchweg schwer zu akzeptieren, wie Essen und Speisen selbst zum Mittel der Kommunikation werden.
60 Jahre der ernährungsbezogenen Forschung in Deutschland haben den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit begründet und in die Köpfe der Menschen gebracht. DasThema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und dennoch haben uns diese Erkenntnisse nicht weitergebracht hinsichtlich der Frage: „Warum isst der Mensch, wie er isst?“ Alles Wissen schützt den Menschen nicht vor Handlungsweisen, die aus Sicht der Ernährungsmedizin als Fehlverhalten eingeschätzt werden: das Metabolische Syndrom…

In den westlichen Ländern eines Nahrungsüberflusses leben wir in einer adipogenen Umwelt, mit ständigen Anreizen zu essen. Außerdem verfolgen uns die mediale Botschaften einer gesunden Ernährung, die die Menschen zu einer Art Selbstoptimierung des Körpers antreiben. Unsicherheit bis hin zu Orientierungslosigkeit machen sich breit. Warum isst der Mensch, wie er isst? Um dies zu verstehen wird es wichtig, über den Tellerrand der Ernährungsmedizin zu blicken. Essen lernt der Mensch an den Tischen sozialer Gemeinschaft. Diese sozialen Räume bilden Esskulturen heraus, die sich Tag für Tag in unseren Geschichten wiederfinden, sie lassen sich gut erzählen. Und genau diese Narrative verfolge ich in meiner Forschung: Wie erzählt sich der Mensch essensmäßig durch sein Leben?

Seit fast 20 Jahren interviewe ich Menschen, sie erzählen mir ihre Ess- und Genussgeschichten, die ich auswerte. Der Nahrungsüberfluss bringt ganz eigene Narrative hervor, während weltweit fast 1 Mrd Menschen nur von täglichem Mangel und Hunger reden könnten. Die heutige Speisenfolge eines vegetarischen Menüs verstehe ich in diesem Gegensatz zwischen Mangel und Überfluss: Was können wir uns leisten, angesichts globaler Warenströme, die für uns Luxus bedeuten, für die meisten Menschen jedoch den Verlust der einfachsten Lebensgrundlagen?
Können wir verantworten, 86 kg LM pro Kopf und Jahr in Deutschland einfach wegzuwerfen? Wie wollen wir eine Welt mit Zukunft gestalten, die sichtbar wird auf den Tellern an unseren Tischen?

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