Prof. Dr. Katajun Amirpur – Islamwissenschaftlerin

Köln, 09.10.2011

Meine Damen,

ich wurde gebeten, mich zu der Frage zu
äußern, an welcher Stelle wir aus der Perspektive von Frauen einen Beitrag zur
Veränderung leisten können, in dieser Welt, die so von Veränderungen geprägt
ist? Ob ich fasziniert bin von einer bestimmten Idee, die Kreise ziehen sollte?

Nun, ich muss ihnen sagen, es gibt eine Idee, die mich im
Moment umtreibt; eine Idee, die Kreise ziehen sollte. Wozu ich beizutragen
gedenke. Ich bin seit Oktober Professorin für Islamische Theologie an der
Universität Hamburg, an der Akademie der Weltreligionen. Unser Schwerpunkt
liegt auf Dialog, auf einer Theologie des Dialogs und der Toleranz. Ich weiss
nicht, ob Sie wissen, dass in Hamburg anders als im Rest Deutschlands in den
Schulen die Kinder nicht nach getrennt in Religion unterrichtet werden. Es gibt
keinen katholischen, evangelischen, muslimischen Religionsunterricht, sondern
alle Kinder sitzen zusammen im Unterricht und werden in allen Religionen
unterrichtet. Das ist keine Unterweisung im Glauben, denn das soll nach
Hamburger Auffassung in der Kirche und im Elternhaus geschehen. Es ist aber
auch kein Ethik-Unterricht wie ihn die Berliner machen und es ist auch kein
überkonfessioneller christlicher Unterricht in biblischer Geschichte wie ihn
die Bremer machen. Es ist dialogischer Unterricht, in dem die Kinder viel über
ihre eigene Religion, aber – und zwar oft genug genau in der Abgrenzung –
ebenso viel über andere Religionen erfahren, über den Islam, Buddhismus,
Hinduismus. Um das unterrichten zu können, werden Hamburger Religionslehrer in
verschiedenen Religionen unterrichtet – und ich bin für den Islam zuständig.
Das ist das eine. Wir versuchen also, Möglichkeiten zu schaffen, damit der
Dialog zwischen den Kindern stattfindet. Das andere ist aber neben diesem
Dialog von unten wie er immer genannt wird, der Dialog von oben. Das ist die
Forschung, die ich mache. Und hier bemühe ich mich um eine Theologie des
Dialogs aus islamischer Perspektive.

Ich will Ihnen nun die Strategien vorstellen, durch die
ich gerne zu einer Theologie des Dialogs kommen würde. Denn ich persönlich sehe
sehr viel Potential für eine dialogorientierte Theologie, wenn man nur hingeht
und die alten, prägenden Texte der islamischen Kultur sich neu anschaut und sie
auf eine solche Theologie hin liest.

Meine Damen: In der Eröffnungssure des Korans heißt es:
ihdina as-sirata al-mustaqim – weise uns den rechten Weg. Gemeint ist: den
rechten Weg, Singular, den islamischen, zu Gott. Natürlich geht der Islam davon
aus, dass der islamische der rechte Weg ist zu Gott. Alle monotheistischen Religionen
meinen, nur sie wiesen den rechten Weg – und die anderen täten dies nicht. Und
alles andere wäre auch ein komisches Selbstbild. Zu sagen, ich glaube zwar an
diese Religion, aber so ganz wissen tue ich nicht, ob es vielleicht nicht doch
nicht stimmt, wäre seltsam

Deshalb spricht der Koran natürlich von dem einen, dem
islamischen Weg. Und doch kennt der Koran auch andere Stellen: Schon im Koran
ist von mehreren Wegen die Rede. Der Koran schreibt, die Propheten würden einem
rechten, geraden Weg folgen, nicht dem rechten, geraden Weg. Beispielsweise
Sure 16, 120-121: Ich zitiere die Übersetzung von Hartmut Bobzin.

Siehe, Abraham war eine Leitgestalt,

demütig Gott ergeben, ein wahrer Gläubiger,

war keiner der Beigeseller,

dankbar gegenüber seinen Gnadengaben.

Er erwählte ihn und leitete ihn auf einen geraden Weg.

Oder 36, 3-4, in der Mohammad angesprochen wird.

Siehe, du bist einer der Abgesandten

Auf einem geraden Weg.

Man kann diese Koranstellen so verstehen, als habe Gott
die Pluralität schon angelegt; sie ist sein Werk und von ihm gewünscht. Und
jemand, der sehr bedeutend ist für den islamischen Kulturkreis hat diese
Stellen genau so gelesen. Ich spreche von Maulana Dschelaleddin Rumi. Rumi, der
im Jahre 1273 im türkischen Konya starb, gilt in Iran und ebenso in der Türkei
als einer der allerwichtigsten Bezugspunkte und Autoritäten. Sein Grabmal ist
ein Wallfahrtsort bis heute.

Und sein Hauptwerk, das Mathnavi, ist nach den Worten
Maulana Jamis, geboren im heutigen Afghanisten, der Koran in persischer
Sprache. Qor’an be zaban-e parsi. Das ist etwas ketzerisch ausgedrückt. Etwas
weniger ketzerisch formuliert, ist das Mathnavi jedenfalls ein Korankommentar,
ein mystischer Korankommentar. Er ist ein spiritueller Akt im Erfassen der
innerlichen Bedeutung des Korans; der innerlichen, batin, die es nämlich neben
der äußerlichen, zahir, die jeder erfassen kann, auch noch gibt. Es gibt eine
lange Tradition der hermeneutischen Kommentare durch die Sufis, wie Rumi einer
war, die zu dieser innerlichen Bedeutung des Korans vorgedrungen sind – und das
Mathnavi ist sicherlich der bedeutendste unter ihren Korankommentaren. Man
könnte so weit gehen zu sagen, das Mathnavi sei für die Iraner, aber auch für
viele Türken der wichtigste Korankommentar schlechthin.

Aus diesem Mathnavi werde ich Ihnen eine Geschichte
vortragen – in der Übersetzung von Annemarie Schimmel.

Im finstern Hause war der Elefant,

wo von den Indern ausgestellt er stand.

Und viele Leute kamen, ihn zu sehen –

sie alle mussten in das Dunkel gehen.

Da sie ihn in der Dunkelheit nicht sahen,

berührten sie ihn nur mit ihren Händen.

Der, dessen Hand an seinen Rüssel rührte,

sprach: «Wie eine Regenrinne ist er wohl!»

Der, dessen Hand an seine Ohren traf,

rief: «Wie ein Fächer sieht das Wesen aus!»

Der, dessen Hand berührte nur sein Bein,

sprach: «Wie ein Pfeiler wird das Tier wohl sein.»

Der, dessen Hand den Rücken rührte schon,

sprach: «Sicherlich, er ist gleichwie ein Thron.»

So kam ein jeder nur zu einem Teil

und er verstand nur dies, und nicht das Ganze,

denn je nach dem Gesichtspunkt war verschieden

wie A und Z, was sie zu sehen glaubten.

Doch hielte jeder einer Kerze Licht,

so gäbe es die Unterschiede nicht!

Der eine hielt den Elefanten also für eine Regenrinne,
der andere für eine Säule, der dritte für einen Thron. So unterscheidlich die
Erkenntnis des einen selben Dings. Und Rumi sinniert weiter, wenn die Menschen
eine Kerze in der Hand gehabt hätten, dann wären ihre Differenzen verschwunden
– und hätten sie wirklich erkannt, was sie vor sich haben. Aber, in der dunklen
Kammer der Natur ist unsere Kenntnis der Wahrheit – symbolisiert durch den
Elefanten – eben bruchstückhaft. Wir alle halten einen Teil der Wahrheit in
unserer Hand und niemand hat sie ganz. Das Eingeständnis jedoch, dass unser
Wissen so defizitär ist, sollte ausreichen, uns demütiger zu machen. Und
Toleranz, Offenheit für Pluralität und Dialog sind nichts anderes als die
Früchte des Baums der Demut. So Rumi. Und daran würde sich meine Theologie des
Dialogs orientieren.

Ich habe mich, dass wird ihnen nicht entgangen sein, ein
wenig an den Fragen vorbeigemogelt. Denn eine spezifisch weibliche Perspektive
habe ich nicht vorgestellt, weiblich ist an dieser Theologie nur, dass sie von
mir, einer Frau in Hamburg ausformuliert werden wird. Herumdrücken will ich
mich nicht, um die Frage, was die evangelische Kirche speziell beitragen kann
zur Lösung aktueller Probleme. Nun, lassen Sie es mich so sagen: Wir Muslime
ringen heutzutage um eine Theologie der Toleranz, des Dialogs. Hilfreich wäre
es, wenn die evangelische Kirche nicht eine Haltung an den Tag legen würde wie
sie es mit der Handreichung Klarheit und gute Nachbarschaft – Christen und
Muslime in Deutschland aus dem Jahre 2006. getan hat. Ich kann hier nicht im
Detail auf dieses Dokument eingehen; auf das, was von Muslimen ziemlich
einstimmig kritisiert wurde. Belassen wir es hierbei: Klarheit und gute
Nachbarschaft – Christen und Muslime in Deutschland war alles andere als eine
Handreichung. Meine Hoffnung wäre, dass wir hier zu einem Neubeginn finden.

Frauenmahl Logo