Prof. Dr. Renate Jost – Professorin für Theologische Frauenforschung, Feministische Theologie und Gender Studies, Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Tutzing, 5.7.2012

Erfahrungen

1974 begann ich zu studieren; 1974 fand auch die Sexismuskonsultation in Berlin statt. Im Studium erfuhren wir nichts davon. Zu dieser Zeit lag der Anteil der Theologiestudentinnen unter 30%, der der Pfarrerinnen bei ca. 12%. In einigen Kirchen – die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern gehörte dazu – waren Pfarrerinnen rechtlich noch nicht den Pfarrern gleichgestellt. Alle Dozierenden – bis auf die Göttinger Professorin für Reformierte Kirchengeschichte Hannelore Erhart – waren Männer. Ende der 70er-Jahre begann ich in Marburg in einer Frauengruppe mit der Beschäftigung mit Feministischer Theologie. Im Unterschied zu heute war die Literatur überschaubar: Wir lasen die Papiere der Sexismuskonsultation und diskutierten über Mary Dalys „Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation“ [1], das noch nicht übersetzt war.

Wie Schuppen fiel es mir damals von den Augen: Auch die Inhalte der Theologie sind durch und durch androzentrisch. Kennzeichnend dafür ist der Satz: „Wenn Gott männlich ist, ist das Männliche Gott“, mit dem Mary Daly das Problem auf den Punkt brachte. Bei einer kritischen Durchsicht von Aussagen männlicher Theologen über Frauen stießen wir auf Aussagen wie die von Tertullian, der behauptete, Frauen seien das Tor zur Hölle, weil sie Schuld an der sexuellen Erregung der Männer hätten oder von Karl Barth, für den die Männer immer A und die Frauen B sind.

Für mein Erstes Theologisches Examen 1980 konnte ich in einigen Fächern der mündlichen Prüfung feministisch-theologische Themen angeben, doch musste ich sie modifizieren und wurde in der Prüfung weitgehend über andere Themen befragt, die ich zum Glück ebenfalls vorbereitet hatte.

Nach meinem Examen bekam ich ein Stipendium des Weltkirchenrates für einen einjährigen Studienaufenthalt am Union Theological Seminary in New York City. Dort erfuhr ich zum ersten Mal, was es heißt, wenn alle Gottesdienste, alle Arbeiten in geschlechtergerechter Sprache verfasst sind und wenn Themen Feministischer Theologie Standardthemen in den Lehrveranstaltungen sind.

Nach meiner Rückkehr wurde ich Pfarrerin in Frankfurt. Ich war die erste Pfarrerin seit Beginn der Aufzeichnungen in dieser Gemeinde. Im Kirchenvorstand musste ich mich einer Position auseinandersetzen, die im Korintherbrief steht: „Das Weib schweige in der Gemeinde.“

Der Vorwurf, feministische Theologie sei synkretistisch und fördere die Verehrung von Göttinnen, sowie die Frage nach der Verbindung von Göttinnenverehrung und Matriarchat, führten in den 90er-Jahren zu meiner Dissertation: „Frauen, Männer und die Himmelskönigin“ [2], und zehn Jahre später zu meiner Habilitation mit dem Thema „Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches“3, in der ich auf egalitäre Strukturen im Alten Israel und in Texten aus dem Richterbuch hingewiesen und diese herausgearbeitet habe.

Dazwischen lag der Aufbau des Frauen-Studien- und -Bildungszentrums, damals noch in Gelnhausen, der von heftigen öffentlichen Konflikten vor allem zum Thema „Lebensformen“ begleitet wurde. Unvergesslich ist mir eine Sitzung im Rat der EKD, in der ich zur Ehe als normativer Lebensform Stellung beziehen sollte. Glücklicherweise ist es biblisch-theologisch offensichtlich, dass unterschiedliche Lebensformen möglich sind und die Jesusbewegung die Ehe nicht als normatives Modell vertreten hat.

Seit 1997 forsche und lehre ich an der augustana-Hochschule – zunächst als Dozentin, dann als Professorin für Theologische Frauenforschung und Feministische Theologie. Ich war die erste Professorin. Wenn auch in Bezahlung und Ausstattung nicht den anderen Lehrstühlen gleichgestellt – dennoch: eine Erfolgsgeschichte aller, die sich dafür eingesetzt haben. Es waren viele, Frauen und Männer. Von der inhaltlichen Ausrichtung vergleichbar sind nur die Juniorprofessuren an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Visionen

Im Sinn von „undoing gender“ wünsche ich mir eine Gesellschaft und eine Wissenschaft, in der Unterschiede von Geschlecht, Herkunft (Klasse), Ethnie und sexueller Ausrichtung keine Rolle mehr spielen.

Feministische Theologie trägt dazu bei, indem sie androzentrische, patriarchale Vorstellungen in der symbolischen Ordnung kritisch hinterfragt und versucht, eine Vielfalt neuer Bilder zu entwickeln, die selbst immer wieder dekonstruiert werden.

Dies betrifft z. B. Gottesbilder und Gottessprache. Die Einseitigkeit männlicher Gottesbilder wird durch das Einbringen „unterschiedlicher weiblicher Erfahrungen“ und damit verbundener Gottesbilder aus Tradition und Gegenwart korrigiert, wie z. B. Gott als Gebärende, Mutter, Hausfrau oder Bäckerin. Dazu kommen weibliche Personifikationen des Göttlichen, wie die Weisheit (Chokmah), die Erscheinung (Schekina) oder die dynamische Lebenskraft (Geistkraft/Ruach).

Symbole von Göttinnen werden als Bejahung weiblicher Macht und Autonomie, wie auch des weiblichen Körpers, aufgefasst. Darüber hinaus entwickeln Feministische Theologinnen eine Vielfalt neuer Gottesbilder, die über die Geschlechtsspezifik hinausweisen, z. B. Gott als dynamisches Verb [4], als Gott/in – ein Begriff der die Einheit von Männlichem und weiblichen von Transzendenz und Immanenz im Gottesbild verdeutlichen will5, als unaussprechliches Zeichen: G*tt [6], von der Welt als Leib Gottes[7], Liebend/er bzw. Freund/in [8], Macht in Beziehung [9], Clownin [10] oder als das „versöhnende Dazwischensein“ [11].

Für den unaussprechlichen G*ttesnamen werden in der Bibel in gerechter Sprache (Bigs), die 2011 in vierter Auflage erschienen ist, am oberen Rand vielfältige Übersetzungsmöglichkeiten, wie z. B. Sie/Er, Kraft, Du, die Heilige, die Ewige, Schechina, angeboten. Die Lesenden können dann die, für sie im jeweiligen Textzusammenhang passende, Bezeichnung auswählen.

Die Übersetzenden versuchen auf unterschiedliche Art und Weise eine text-, sozial- und geschlechtergerechte, sowie nicht antijüdische Übersetzung zu erstellen, die fortlaufend revidiert wird.

Mehr Ergebnisse feministisch-theologischer Forschung und viele Beispiele finden Sie im „Wörterbuch Feministischer Theologie“ [12], sowie auf der institutionellen Ebene in dem Buch „Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten – eine Erfolgsgeschichte“ [13].

Herausforderungen

Um das Ziel einer geschlechtergerechten Wissenschaft und Gesellschaft zu erreichen, sollte der Frauenteil in der Professor_innenschaft auf mindestens 30% erhöht werden. Dies betrifft alle Bereiche der Wissenschaft, einschließlich der Rechtswissenschaften, der Medizin und der Naturwissenschaften, und wird als Desiderat auch vom Bundesforschungsministerium, dem DAAD und der Hochschulrektorenkonferenz unterstützt. Allerdings nützen auch hier – ähnlich wie in der Wirtschaft – Appelle wenig. Erfahrungen z. B. aus den USA dokumentieren, dass eine Quote zielführender ist.

Um auch Inhalte und Kultur zu verändern, sollte Feministische Geschlechterforschung als gleichberechtigtes Fach in allen wissenschaftlichen Disziplinen integriert werden.

Meine Erfahrung zeigt, dass die Grundkenntnisse des doing und undoing gender und ihre Bedeutung für jede einzelne Person sowie für Gesellschaft, Kirche und Wissenschaft in jeder Studierendengeneration neu gelehrt und verankert werden müssen. Darüber hinaus besteht ein enormer Forschungsbedarf, da internationale, interreligiöse, interkulturelle, sowie intersexuelle (queere) Herausforderungen integriert und verarbeitet werden sollten.

Die zunehmende Sensibilität für Differenzen, die auch auf feministische Forschung und Lehre zurückzuführen ist, ist eine der Herausforderungen, vor denen die evangelische Kirche und die gesamte Gesellschaft in einer globalisierten und multireligiösen Welt steht. Feministische Theologie hat gelernt mit vielfältigen Differenzen umzugehen und sich im Interdiskurs zwischen verschiedenen Geschlechtern, Konfessionen, Religionen und Nationen geübt. Sie kann deshalb einen wichtigen Beitrag für eine gerechtere Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft leisten.

Anmerkungen

[1] Daly, Mary, Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation, Boston 1973.

[2] Jost, Renate, Frauen, Männer und die Himmelskönigin, Gütersloh 1995.

[3] Jost, Renate, Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches, Stuttgart 2006.

[4] Daly, Mary, Beyond God the Father

[5] Radford Ruether, Rosemary, Sexism and God-Talk.Toward a Feminist Theology, Boston 1983.

[6] Schüssler-Forenza, Elisabeth, WeisheitsWege. Eine Einführung in feministische Bibelinterpretation, Stuttgart 2005.

[7] McFague, Sallie, The Body of God. An Ecological Theology, Minneapolis 1993.

[8] McFague, Sallie, Models of God. Theology for an Ecological, Nuclear Age, Philadelphia 1987.

[9] Carter Heyward, Isabel, Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung, Stuttgart 1986.

[10] Gisela Matthiae, Clownin Gott, Eine feministische Dekonstruktion des Göttlichen, Stuttgart 2001.

[11] Irigaray, Luce, Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt am Main 1991.

[12] Gössmann, Elisabeth/Kuhlmann, Helga u.a., Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991.

[13] Matthiae, Gisela/Jost, Renate u.a., Feministische Theologie.
Initiativen, Kirchen, Universitäten – eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh
2008.

Literatur


Carter Heyward, Isabel, Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung, Stuttgart 1986.

Daly, Mary, Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation, Boston 1973.

Gössmann, Elisabeth/Kuhlmann, Helga u .a., Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991.

Irigaray, Luce, Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt am Main 1991.

Jost, Renate, Frauen, Männer und die Himmelskönigin, Gütersloh 1995.

Jost, Renate, Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches, Stuttgart 2006.

Matthiae, Gisela, Clownin Gott. Eine feministische Dekonstruktion des Göttlichen, Stuttgart 2001.

Matthiae, Gisela/Jost, Renate u .a., Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten – eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh 2008.

McFague, Sallie, Models of God. Theology for an Ecological, Nuclear Age, Philadelphia 1987

McFague, Sallie, The Body of God. An Ecological Theology, Minneapolis 1993.

Radford Ruether, Rosemary, Sexism and God-Talk.Toward a Feminist Theology, Boston 1983.

Schüssler Fiorenza, Elisabeth, WeisheitsWege. Eine Einführung in feministische Bibelinterpretation, Stuttgart 2005.

Frauenmahl Logo