Prof. Dr. Sabine Liebig – Professorin für Geschichte

Karlsruhe, 24.06.2012

Blick zurück – Blick nach vorn. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Fragen an die Vergangenheit entstehen in der Gegenwart. Warum ist es der

Süddeutschen Zeitung am 19. Juni 2012 einen winzigen Artikel Wert, dass

Frauen inzwischen 20% der Professuren inne haben?

Warum gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen und warum fällt es

Frauen aber oft schwer, Macht zu wollen und die Schaltstellen der Macht

einzunehmen?

Mir ist der winzige Artikel sofort ins Auge gesprungen, weil ich mich seit

meiner Studienzeit, angeregt durch eine frauenbewegte Tante und eine

frauenbewegte Englisch-Professorin (es gab in den 1980ern kaum

Professorinnen an den Hochschulen), mit dem Thema Gender befasse.

Die Vergangenheit gibt uns Antworten auf Fragen, so dass wir daraus Schlüsse

ziehen können für die Gegenwart und für Veränderungen in der Zukunft.

In der Vergangenheit finden wir Vorbilder, die uns Mut machen und zeigen, wie

wir Ziele erreichen können. Vorbilder, die uns zeigen, wie Schwierigkeiten zu

überwinden sind und mit welcher Kreativität Widerstände ausgeräumt werden

können.

Ich lege den Fokus auf die Bildung, weil ich in diesem Bereich tätig bin.

Da die Frauen verstärkt erst seit etwas mehr als 150 Jahren um ihre Rechte

kämpfen, hatten sie noch nicht so viel Zeit wie die Männer, sich zu

positionieren.

Es waren die Frauen, die sich ab dem 19. Jahrhundert für ihre höhere Bildung

und damit für Chancen auf ein unabhängiges Leben einsetzten. Sie wurden zum

Teil unterstützt durch ihre Väter und Mütter, durch manche Lehrer, die das

weibliche Geschlecht für ebenso bildungsfähig hielten wie das männliche. Die

Lehrerinnen waren es vor allem, die sich für die höhere Mädchenbildung

einsetzten und den Zugang für Frauen zu den Hochschulen erkämpften. Sie

ließen sich durch nichts entmutigen, schlossen sich zusammen, bildeten

nationale und internationale Netzwerke, um ihre Ideen tatkräftig umzusetzen.

Ein beeindruckendes Vorbild aus der Region ist Hedwig Kettler (1851-1937),

die 1893 hier in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium gegründet hatte.

Andere Vorbilder sind die jungen Frauen, die als erste an die Universitäten

gingen und dort um die Zulassung zu Prüfungen (Ende des 19. und Anfang des

20. Jh. war es nicht selbstverständlich trotz eines Studiums zur

Abschlussprüfung zugelassen zu werden) ebenso durchsetzten wie hinterher um

eine Stelle als Ärztin, Juristin, Lehrerin, Ökonomin oder Wissenschaftlerin. Mit

hervorragenden Leistungen, Ausdauer, Mut, Zähigkeit und logischen

Argumentationen überwanden sie die Hürden, die ihnen die Männer in den Weg

stellten. Diesen Frauen verdanken wir unsere Bildungsmöglichkeiten. Heute

muss keine Frau mehr gegen gesellschaftliche Widerstände kämpfen, wenn sie

Abitur machen und studieren möchte.

Aber:

Egal in welchen akademischen Bereich man blickt – die Männer dominieren in

den gut bezahlten Positionen ebenso wie in den Führungspositionen, selbst in so

stark mit Frauen besetzten Bereichen wie dem Lehramt. Insgesamt haben die

Studentinnen die Mehrheit in allen Lehramtsstudiengängen; an den

Pädagogischen Hochschulen liegt ihr Anteil sogar bei 80 – 90 %, je nach

Studiengang, im Gymnasiallehramt bei 65%. Doch die meisten

Schulleitungspositionen oder hoch dotierten Stellen in den Schulämtern,

Präsidien, Universitäten und Ministerien sind mit Männern besetzt, die sich aus

den 10 – 20% der PH-Studenten, bzw. 35% der Gymnasialstudenten rekrutieren.

Inzwischen holen die Frauen auf, allerdings häufig bei den Schulleitungsstellen,

die schlecht dotiert und ausgestattet sind und auf die sich oft kein Mann bewirbt.

Doch Rückblick und Beschreibung der Gegenwart sind nutzlos, wenn nicht der

Blick auf die Zukunft gerichtet wird. Von den Vorbildern aus der Geschichte

haben wir gelernt, dass Mut und Ausdauer am Ende belohnt wird, aber auch,

dass wir uns nicht mit den Brosamen, die uns hingeworfen werden, begnügen,

sondern dass wir selbstbewusst fordern, was uns angesichts der Menschen- und

Grundrechte und unserer eigenen Leistungsfähigkeit zusteht.

Was können wir tun, welche Visionen für unsere Zukunft können wir

entwickeln?

Es wäre schön, wenn die bestehenden Netzwerke weiter ausgebaut würden,

wenn ein noch stärkerer Zusammenschluss der Frauen stattfindet und junge

Frauen früh in diese Netzwerke eingebunden würden, damit sie mit den älteren

in einen Generationendialog treten können, der für beide Seiten bereichernd ist.

Hier können sie erfahren und reflektieren welche Konsequenzen Karrieren an

Schulen und Hochschulen mit sich bringen, z. B. dass Führungspositionen Mut

und Tatkraft erfordern, denn es gilt Entscheidungen zu treffen, die nicht alle

immer gut heißen – und damit auszuhalten, nicht von allen geliebt zu werden.

Führungspositionen bedeuten eine gewisse Einsamkeit, da es kaum

Gleichgestellte zum Austausch gibt. Deshalb sind Netzwerke unerlässlich. Hier

sind wir älteren Frauen gefordert, die jüngeren zu ermutigen und zu

unterstützen.

Die jungen Frauen sehen anhand der weiblichen Vorbilder, welche

Möglichkeiten es gibt Probleme kreativ zu lösen, welche unterschiedlichen

Lebenswege bestehen und vor allem, dass Biografien selten ohne Brüche

verlaufen, dass genau aber jene Brüche Chancen enthalten. Sie erkennen, dass

das gemeinsame Arbeiten an einem Ziel die einzelne weiter bringt und sie in

schwierigen Situationen stützen kann.

Wichtig ist – und auch das haben wir aus der Vergangenheit gelernt – die

jüngeren und älteren Männer einzubinden, die keine Angst vor starken Frauen

haben, die Gleichberechtigung genießen und die mitwirken wollen an einer

Gesellschaft, in der die Menschen auf Augenhöhe miteinander agieren.

Es sollte selbstverständlich sein, dass beide Geschlechter gleichberechtigt in

allen Bildungsbereichen vertreten sind, also die Männer in den

Kindertagesstätten und Grundschulen ebenso wie die Frauen in Professuren und

Führungspositionen.

Die französische Philosophin Simone Weil (1909 – 1943) sagte: „Die Zukunft

ist aus demselben Stoff wie die Gegenwart.“ – Lassen Sie uns gemeinsam an der

Gegenwart arbeiten, dass die Zukunft ein guter Stoff wird.

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