Tischrede als Interview beim Frauenmahl in Goeppingen am 29. April 2017
Sr. Raphaela, Oberin des Konvents der Vinzenz Klinik, Bad Ditzenbach
Ich grüße Sie ganz herzlich zu diesem Frauenmahl. Ich freue mich auf die Gespräche und Begegnungen mit Ihnen und natürlich auf das leckere Essen.
Zunächst darf ich mich vorstellen:
Ich bin Schwester Raphaela, 53 Jahre alt, seit 33 Jahren unterwegs im Auftrag des Herrn bei den Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in Untermarchtal, den Vinzentinerinnen.
Ich bin im Erstberuf Krankenschwester, studierte dann mit 33 Jahren Betriebswirtschaft und bin seither in den unterschiedlichsten Aufgabenbereichen meist in Leitungsfunktionen tätig.
Vor zwei Jahren wurde ich von unserer Generaloberin nach Bad Ditzenbach versetzt. Dort habe ich das Amt der Oberin inne und bin als Mitglied der Betriebsleitung zuständig für alle Belange unserer drei Einrichtungen. Die Vinzenz Klinik mit 150 Reha-Plätzen mit Schwerpunkt Orthopädie und Kardiologie, die Luise von Marillac Klinik in Bad Überkingen mit 46 Reha-Plätzen für jüngere Frauen nach Brustkrebs und die Vinzenz Therme, unser wunderschönes Thermalbad. Wie unsere Lebensordnung vorgibt, ist die Oberin Dienerin aller und so können Sie sich vorstellen, dass ich einen interessanten Arbeitsalltag habe, der geprägt ist von vielen schönen, erheiternden und bereichernden Begegnungen mit Rehabilitanden, Gästen, Mitarbeitern und Schwestern.
Mein Lebensmotto ist das Wort unseres Ordensgründers, dem Hl. Vinzenz: „Seid gut und man wird euch glauben“ in Verbindung mit seiner Aufforderung: „Demut gründet in Gott und macht unverwundbar“.
Unsere Ordensgründerin, die Hl. Luise, ist mir Vorbild im Frau-Sein, der Güte, der Liebe und der Empathie für andere Menschen. Ich kann Ihnen sagen, ich lerne jeden Tag neu von ihr dazu.
Die Fragestellungen zu meinem Vortrag kamen von Frau Jetter-Staib. Für mich eine echte Herausforderung, in sieben Minuten solch komplexe Themen zu betrachten.
Meine Tischrede versucht, Antwort zu geben auf fünf Fragestellungen, die mir Frau Jetter-Staib im Vorfeld zukommen ließ:
1. Wo und wie erlebe ich Frauen als Akteurinnen des Wandels
2. Wo sehe ich mich selbst als Akteurin des Wandels
3. Braucht es Spiritualität, um im säkularen Gesundheitswesen etwas zu verändern
4. Was machen wir in der Vinzenz Klinik anders als andere Kliniken
5. Wie kann ich mich und meine Persönlichkeit als Frau in meinem Beruf einbringen
Nun zur ersten Frage: Wo und wie erlebe ich Frauen als Akteurinnen des Wandels? Dazu müssen wir nur auf unsere heutige Tagesheilige Katharina von Siena blicken. Sie lebte von 1347 bis 1380 in Rom und ist bekannt als Mystikerin, geweihte Jungfrau und Kirchenlehrerin.
Übersetzt in meine heutige Sprache bedeutet dies für mich: Katharina von Siena war ein innerlicher Mensch, gab Antwort auf ihre eigene Berufung und war in der Lage, die Geheimnisse des Glaubens in den Alltag zu übersetzen.
Akteurin des Wandels bedeutet hierbei ein aktives Teilnehmen an den Nöten der Zeit, das Einbringen und Bejahen der eigenen, von Gott geschenkten Fähigkeiten und Gaben.
Dies ist bis heute so. Die Anderen können wir nicht verändern, nur uns selbst. Sie kennen das sicherlich gut aus Ihrem eigenen Alltag und Ihren eigenen Beziehungen: Den Anderen zu ändern, das funktioniert nicht. Wir haben keinerlei Einfluss auf das Denken, Handeln und Fühlen des Anderen, nur auf unser Eigenes. Vielleicht kennen Sie das Gebet eines chinesischen Christen:
Herr, fange bei mir an.
Herr, erwecke Deine Kirche
und fange bei mir an.
Herr, baue Deine Gemeinde
und fange bei mir an.
Herr, lass Frieden und Gotteserkenntnis
überall auf Erden kommen
und fange bei mir an.
Herr, bringe Deine Liebe und Wahrheit
zu allen Menschen
und fange bei mir an. Amen.
Damit sind wir bei der zweiten Fragestellung: Wo sehe ich mich als Akteurin des Wandels?
„…und fange bei mir an,…“ – Es mag Ihnen paradox vorkommen – doch immer dann, wenn es mir gelingt, bei mir selbst einzukehren, gut in Kontakt zu sein mit mir selbst und mit meinem „inneren Menschen“, erlebe ich, dass sich Menschen und Situationen in meinem Umfeld anders verhalten, als ich zunächst vermutete oder gar befürchtete.
So ging es mir übrigens auch mit dieser Tischrede. Erst als ich den Rat des Mystikers Johannes Tauler befolgte, der sagt: „Bleibe bei deinem inneren Menschen“, kamen mir die guten Gedanken und Ideen.
Probieren Sie es selbst aus: Wenn Sie mit scheinbar unlösbaren Fragestellungen umgehen, wenn Menschen sich nicht so verhalten, wie Sie es sich wünschen, dann fangen Sie bei sich an. Kehren Sie ein bei sich selbst, bei Ihrem inneren Menschen und fragen Sie sich: Wie könnte ich es noch sehen, was habe ich für Alternativen, was willst Du, Gott, mir damit sagen? Sie werden sehen: Allein die Tatsache, dass Sie sich diese Zeit schenken, sich selbst ernst nehmen, indem Sie nicht nach außen gehen, sondern innerlich einkehren und zur Ruhe kommen, schafft Veränderung.
Und da wären wir schon bei der dritten Fragestellung: Ja, ich denke, es braucht Spiritualität, um im säkularen Gesundheitswesen etwas zu verändern. Und nicht nur im Gesundheitswesen.
Spiritualität leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet: Geist, Hauch bzw. spiro „ich atme“. Ich atme, was bedeutet das? Ich atme – da steckt Leben drin, Lebendigkeit, Freiheit, Weite, Offenheit, Kreativität,…
Spiritualität hat zu tun mit dem Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist für alle da, als eine unerschöpfliche Quelle von guten Ideen und Problemlösungsstrategien. Er zählt zu meinen besonderen Freunden. Damit er wirken kann, bedarf es der Stille. Ein weiser Mensch prägte den Satz: „Die Stille ist die Arbeitszeit des Heiligen Geistes“. Wie wunderbar! Wir müssen nichts tun, als in die Stille zu gehen, innerlich still zu werden und den Heiligen Geist wehen zu lassen.
Und Sie merken es schon, es ist immer das Gleiche: Von welchem Blickwinkel aus ich es auch betrachte, Veränderung oder Wandel hat mit mir selbst zu tun.
Jeder Mensch, jede von Ihnen, die sie jetzt heute Abend hier sitzen, ist von Gott ins Leben gerufen, ins Leben geliebt worden mit einem jeweils eigenen Auftrag, einer jeweils eigenen Sendung. Wir sind einzigartig, nicht kopierbar und wir sind gut, so wie wir sind. Je mehr wir dem entsprechen, was Gott sich von uns erdacht hat, desto mehr können wir Leben aktiv gestalten, Veränderung, und Wandel auslösen, die Welt und unser konkretes Umfeld mit Gutem beschenken.
Die Frage ist deshalb nicht, ob es Spiritualität braucht, um im Gesundheitswesen etwas zu verändern, sondern: „Wie können wir unsere jeweils eigene Spiritualität entfalten?“ und Veränderung wird geschehen.
Nun zur Frage, was wir anders machen als andere Kliniken. Ich denke, alle Kliniken – und ich spreche jetzt für die Reha-Kliniken in unserem Umkreis, die ich kenne – haben sehr gute Mitarbeiter mit hoher fachlicher und menschlicher Kompetenz. Von daher machen wir erst mal nichts anders als andere.
Das Besondere bei uns in der Vinzenz Klinik liegt meiner Meinung nach in der Kraft des Gebets. Mein Schwesternkonvent mit zehn Schwestern ist im Durchschnitt 76 Jahre alt. Unser Hauptapostolat ist das Gebet für unsere Rehabilitanden. Es hat einen festen Platz in unserem Tagesablauf und eine meiner Mitschwestern geht jeden Tag, sieben Tage die Woche, pünktlich um 15:30 Uhr zur Grotte oder in die Kapelle – ich kann meine Uhr danach stellen – und betet einen Rosenkranz in den Anliegen unserer Rehabilitanden. Ich finde schon, dass dies etwas Besonderes ist.
Zur Frage, wie ich mich und meine Persönlichkeit als Frau in meinem Beruf einbringen kann, möchte ich abschließend sagen: Ganz einfach: indem ich die bin, die ich bin. Von Gott geliebt, von Gott berufen, gesegnet mit Stärken und Schwächen, unterwegs im Auftrag des HERRN.