Regula Strobel – Katholische Theologin, Hotelière

Als Einheimische Fremde unterwegs
Tischrede zum Frauenmahl in Gränichen vom 15.8.14 von Regula Strobel, feministische katholische Theologin, Wirtin Hotel Rhätia, CH-7246 St. Antönien

Liebe Frauen

Ich freue mich, mit Euch am Tisch zu sitzen, und dem Thema „Kirche – meine Heimat?!“ etwas Raum zu geben. Dabei ist mir sowohl das Fragezeichen, wie auch das Ausrufezeichen hinter „Heimat“ wichtig. Denn Kirche war mir, seit ich mich erinnern kann, Heimat und Fremde gleichzeitig.
Einerseits, was die Kirchengebäude betrifft: In einfachen schlichten Kirchen fühlte ich mich wohl, geborgen. Ich genoss die meist speziellen Lichtverhältnisse. Diese Kirchen waren mir ein Stück Heimat – mindestens solange kein Gottesdienst darin stattfand. In barocken Kirchen mit all den herumschwirrenden dickbeinigen und dickbäuchigen Engelchen wurde ich nicht warm.
Andererseits war und ist mir Kirche aber auch von den überlieferten Inhalten her Fremde und Heimat – manchmal mehr Fremde, manchmal auch etwas mehr Heimat.
Deshalb steht meine Tischrede unter dem Titel: Als Einheimische Fremde unterwegs.

Begonnen hat es mit dem Fremdsein früh. Offenbar hatte ich schon als Kindergärtlerin die Geschichte von der Hölle und den gefallenen Engeln hinterfragt. Meine Mutter erzählte mir später, dass ich gefragt hatte, warum denn Gott Engel geschaffen habe, die von ihm abfallen und in die Hölle verdammt würden. Auf meine Frage damals im Kindergarten und auf viele andere Fragen später erhielt ich keine theologische Antwort, die mich überzeugt und zufrieden gestellt hätte. Auch die Antworten, warum nur meine Brüder ministrieren durften und die Begründungen, weshalb ausschliesslich Männer zu Priestern gemacht wurden, überzeugten mich nicht.

Gleichzeitig fühlte ich mich auch schon früh beheimatet z.B. in der Osternachtsfeier. Das Symbol vom Feuer, das Licht in die Dunkelheit der Kirche bringt, hat mich fasziniert und berührt. Auch die Schöpfungstheologie, dass Gott die Menschen, Mann und Frau als Bild Gottes schuf, hat mich genährt und geprägt. Sie war und ist mir Heimat und Nahrung. Z.B. als mir als junge Frau das Theologiestudieren erschwert wurde, mir seitens der Kirchenhierarchie die Berufung als Theologin, die auch die sogenannten Sakramente spenden darf, abgesprochen wurde.
Ebenso Heimat bedeutet mir das Engagement Jesu und anderer Frauen und Männer für das Reich Gottes: Frauen und Männer, die immer wieder daran Erinnern und daraufhin wirken, dass Leben – nicht blosses Überleben, sondern Leben in Fülle für alle Frauen, Männer und Kinder möglich wird – egal welcher Hautfarbe, Herkunft oder sexueller Orientierung sie sind.
Und wichtige Heimat sind mir die verschiedenen Geschichten, Gleichnisse, die in der Bibel vom Kommen des Reiches Gottes erzählen. Sie erzählen von ganz normalen Tätigkeiten, die uns Menschen möglich sind, nichts, was uns irgendwelche Opfer oder übermenschliche Anstrengungen kosten würde. So kommt das Reich Gottes wie im Gleichnis vom Samen, der wächst und reiche Frucht bringt, auch wenn nicht jedes einzelne Samenkorn aufgeht. Oder wie im Gleichnis vom Sauerteig: Die Frau mischt den Sauerteig unters Mehl und danach durchsäuert er alles – das ist das Selbstverständlichste der Welt. Das Kommen des Reiches Gottes wird verglichen mit alltäglichen, selbstverständlichen Arbeiten, die keinen besonderes Aufwand und spezielle Anstrengung verlangen – einfach das der Situation entsprechende, normale und menschenmögliche zu tun.

Wenn ich nun auf bestimmte biblische Traditionen Bezug nehme, weil sie mir Heimat und Nahrung sind auf meinem Weg als Einheimische Fremde, heisst dies nicht, dass alle biblischen Texte mir vorbehaltlos Heimat oder Nahrung wären. Überhaupt nicht!
Auch in Bezug auf die Bibel fühle ich mich manchmal mehr fremd als beheimatet und dazugehörend.
Das ist weiter nicht erstaunlich, denn Kirchentraditionen und biblische Texte sind von Menschen wie Sie und ich sind, geschaffen worden – auf der Suche nach Antworten auf zentrale Fragen unseres Lebens. Die Antworten sind unterschiedlich ausgefallen, manchmal sogar sich widersprechend – je nach den Erfahrungen, die die schreibenden Menschen gemacht haben.
Das ist weiter auch nicht schlimm. Es spiegelt vielmehr die Lebendigkeit der Auseinandersetzung mit dem, was wir Bibel und Christentum nennen.
Problematisch wird es, wenn eine Antwort absolut und allgemeingültig gesetzt wird, wenn ein Traditionsstrang als einzig wahr und richtig behauptet wird – und damit automatisch andere ausgegrenzt werden.

Die Frage ist allerdings berechtigt, ob dann nicht alles willkürlich wird? Jeder und Jedem seine eigenen Antworten?

Elisabeth Schüssler Fiorenza, eine katholische feministische Theologin, die von Deutschland in die USA ausgewandert ist, hat ein wichtiges und zugleich einfaches Unterscheidungskriterium entwickelt: Biblische Texte sollen Brot, nicht Steine auf dem Weg der Befreiung sein. Ich ergänze: Auch kirchliche Traditionen, Verlautbarungen und Entscheide sollen Nahrung sein auf dem Weg, das Reich Gottes zu erden. Oder weniger theologisch gesprochen: Alle biblischen Texte und alles kirchliche Handeln soll den Menschen zu lebensspendendem Brot werden – und zwar Männern, Frauen und Kindern – gerade auch jenen, die gesellschaftlich und seitens religiöser Gemeinschaften ausgegrenzt, zu Fremden gemacht werden.
Ob biblische Texte und kirchliche Handlungen nährend sind oder vielmehr Steine auf dem Weg zu einem Leben in Fülle, dies entscheiden immer die Betroffenen selbst. Ich weiss, dass dieser Gedanke für verschiedene Herren in den Kirchenhierarchien befremdend ist. Für mich ist er die konsequente Fortsetzung jenes biblischen Überzeugung, dass die Menschen, Frauen und Männer, als Bild Gottes geschaffen sind.

So bin ich weiterhin als Einheimische Fremde unterwegs – immer in einer kritischen Distanz, obwohl ich auch dazu gehöre. Das Wahrnehmen des Fremdseins gibt mir die Möglichkeit, stossende, verletzende Punkte in einer kirchlichen oder gesellschaftlichen Gemeinschaft ernst zu nehmen, zur Sprache zu bringen. Es verhindert, dass ich mich vereinnahmen lasse oder mich anpasse. Gleichzeitig behaupte ich mich auch als Einheimische, die Teile dieser christlichen Traditionen als mein Eigenes reklamiert, als Heimat erfährt, als Nahrung mitnimmt auf den Lebensweg – auch wenn dieser seit meinem Berufsverbot als Theologin mehrheitlich ausserhalb kirchlicher Zusammenhänge verläuft.

Und ich finde, es passt zu meinem feministischen und herrschaftskritischen Denken und Leben, dass ich jetzt im Hotel Rhätia in St. Antönien bin und arbeite, in einem alten Walserhaus, an dessen Hausfront der Spruch von 1648 steht: GOT DIE ER SUNST NIEMET MEHR (Gott die Ehre, sonst niemandem mehr).

Frauenmahl Logo