Rowena Jugl – Vikarin

Zwickau, 9.5.2014

Liebe Frau Dr. Haese, liebe Frauen und Männer,

man kommt gegen die Macht eines Jubiläums nicht an. Man hat nur die Chance etwas daraus zu machen, denke ich! Es ist die Chance, des Reformationsjubiläums, die für das Leben zentralen Punkte wieder neu ins Gespräch zu bringen. Was trägt uns, was bewegt das Leben und die Gesellschaft?

Zunächst werde ich drei wesentliche Impulse der Reformationsbewegung anführen. In einem zweiten Schritt gehe ich auf die Beteiligung einiger wichtiger Frauen an der Reformationsbewegung ein, die diese Impulse auf ihre Weise ganz praktisch lebten. In einem dritten Schritt stelle ich kurz die Tragweite dieser Impulse und der Umsetzung durch die Frauen für den Pfarrdienst heute dar.

Die Impulse, die durch die Reformation gesetzt wurden, lassen sich schnell benennen:

Gott, der sich in Jesus Christus offenbart und auf eine unverwechselbare Weise den Menschen nahe gebracht hat, schenkt seine Gnade ganz ohne Verdienste des Menschen. Menschen dürfen der Liebe Gottes Vertrauen, ohne zuvor etwas dafür leisten zu müssen.

Ein weiterer Impuls: Die deutsche Sprache rückt wieder neu in den Mittelpunkt. Luther hat den Menschen sprichwörtlich „auf’s Maul“ geschaut. Seine Übersetzung des hebräischen Alten Testaments und des griechischen Neuen Testaments in die deutsche Sprache, ermöglichte es Gläubigen, Gottes Wort selbst zu lesen. Sprache und damit einhergehende Bildung kann immer auch als Waffe benutzt werden, vor allem wenn sie sich von den Menschen entfernt, die eigentlich angeredet sind. Sprache kann aber auch eine Brücke sein, auf der Menschen Sicherheit bekommen, für das, was sie angeht. So eine Brücke baute die Reformation und ermöglichte die Mündigkeit der Gläubigen in den Gemeinden.

Diese beiden Grundvoraussetzungen – Glaube als Geschenk Gottes ohne Verdienste und der Impuls zur Mündigkeit der Gemeinde schafften die Grundlagen für den dritten Impuls: unser heutiges Verständnis von Demokratie im weiteren Sinne, wie ich meine. Dies geschah im Besonderen durch Luthers Einsicht, dass alle getauften Gläubigen aktiv Anteil am kirchlichen Leben haben. Er bezeichnet diese Teilhabe als „Priestertum aller Gläubigen“. Eine Horizonterweiterung die sogleich die Grundlage für das Priestertum der Frauen in der evangelisch-lutherischen Kirche ist.

Eine Horizonterweiterung, der wir zum Reformationsjubiläum gedenken. Doch sieht man sich die Lutherdekade an, die zum Reformationsjubiläum 2017 hinführt, fällt mir auf: die Rolle der Frauen der Reformation gilt offenbar als Randthema. So ist keines der Themenjahre den Frauen gewidmet. Aber diese Beteiligung der Frauen darf meines Erachtens kein Randthema sein, da es gerade ganz gezielt auf die Inhalte der Reformation hinweist. Waren es doch vor allem auch die Frauen, die engagiert die Impulse der Reformation in ihrem jeweiligen Alltag lebten und so auch indirekt den Weg für Frauen im heutigen Pfarrdienst ebneten.

Exemplarisch nenne ich an dieser Stelle all jene Pfarrfrauen, für die eine Heirat mit einem ehemaligen Mönch sicher kein leichter Schritt war. Schnell wurden sie dafür von den Altgläubigen verachtet. Es waren mutige Frauen, wie Katharina von Bora, aber auch Katharina Melanchthon und Anna Zwingli, Elisabeth Bucer, Katharina  Jonas, die inhaltlich hinter ihren Männern standen und Anfeindungen ihrer Umwelt aushielten. Außer über Luthers Frau Katharina von Bora, ist meist nicht viel bekannt über diese Frauen, doch lässt sich an den Biografien ihrer Männer ablesen, was sie im Hintergrund leisteten.

Dann gab es natürlich auch Frauen, die schriftlich während der Reformation aktiv waren: Genannt seien Elisabeth von Rochlitz, aber auch Argula von Crumbach, die eigenständig Flugschriften verfasste, als reformatorisches Schrifttum in Ingolstadt verboten werden sollte. Besonders nahe ist mir persönlich Elisabeth Cruciger, die in Wittenberg mit dem Theologen Caspar Cruciger verheiratet war. Sie dichtete Kirchenlieder und mit bereits 19 Jahren schrieb sie das Lied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“, das im evangelischen Gesangbuch steht und zu einem meiner mir liebsten Lieder zählt. Es berichtet in einer großen theologischen Tiefe von Gottes Hinwendung zu den Menschen und nimmt den reformatorischen Grundgedanken mit großer Leidenschaft auf.

Natürlich sind an dieser Stelle auch die Frauen zu benennen, die wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung erheblichen Einfluss auf die Reformation hatten, und die Bewegung so auch politisch unterstützten.

Es sind viele Frauen der Reformation, die das sich wandelnde Menschen- und Frauenbild allein durch ihren Einsatz in Kirche und Gesellschaft aufgrund ihres Glaubens prägten und voranbrachten. Von wenigen wissen wir viel und schriftliche Zeugnisse sind nur von sehr wenigen Frauen dieser Zeit überliefert, aber ihre Bedeutung auch für die kommenden Jahrhunderte ist unübersehbar. Denn das Priestertum aller Gläubigen zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen der reformatorischen Kirchen.

Dennoch müssen wir zugeben: Es hat noch viele Jahrhunderte gedauert, dass sich die Ordination von Frauen durch Impulse der Reformation auch tatsächlich  verwirklichten. Frauen im Pfarramt gibt es in der evangelisch-lutherischen Kirche noch nicht sehr lange. Es gab zwar bereits 1911 Vikarinnen. Sie mussten allerdings ehelos und zölibatär leben. Im Zweiten Weltkrieg, als die Pfarrer an der Front waren, übernahmen dann Vikarinnen die Arbeit des Pfarrers in einer Gemeinde.

Offiziell gibt es Pfarrerinnen jedoch erst seit Anfang der 1970-er Jahre.

Ich selbst werde im Herbst voraussichtlich hier in der Region für den Pfarrdienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in einer Gemeinde ordiniert. Mit 26 Jahren werde ich vermutlich die jüngste Pfarrerin in Sachsen sein. Doch wenn ich mir mir die Geschichte ansehe – die jungen und beherzten Frauen –, die für ihren Glauben an der Stelle des Lebens eintraten, an die sie gestellt waren, gibt mir das Mut für die Zukunft. Diesen Zuspruch, diese Berufung sehe ich zugleich als einen Anspruch an: Es ist der Anspruch, die Kernbotschaften der Reformation – ja meines Glaubens – Menschen nahe zu bringen. Menschen zu ermutigen, Gott zu begegnen und mündig vor anderen und der Gesellschaft zu sein. Verantwortung für andere ernst zu nehmen. Vielleicht dauert es manchmal 500 Jahre, bis ein Impuls wirksam wird.

Die Situation, in der ich als Vikarin lebe, beweist mir aber, dass sich langfristig durchaus Ideen durchsetzen, die einst im Glauben angestoßen wurden. Und das ist ganz wichtig für den Pfarrberuf – nicht nur für den der Frauen – ich gebe im besten
Fall Impulse, rede von Gott. Was das bringt? Jetzt ist das noch nicht abzusehen. Aber wer weiß, was in 500 Jahren ist…

Frauenmahl Logo