1. Tischrede beim 2. Oldenburger Frauenmahl
Sabine Blütchen, Synodenpräsidentin der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg
Liebe Schwestern,
das Thema des heutigen Frauenmahls Die radikale Freiheit zur Einmischung in die Welt trifft ein aktuelles Problem in unserem Land: die Freiheit, sich in Politik im Kleinen wie im Großen einzumischen, wird kaum genutzt. Kaum Demonstrationen oder ziviler Ungehorsam, schlechte Wahlbeteiligung seit Jahren, nehmen Sie nur die Stichwahl zur Wahl des OB der Stadt Oldenburg: knapp 34% der Wahlberechtigten nahmen ihr Wahlrecht in Anspruch und das ist doch eine unmittelbare Möglichkeit, sich in das politische Geschehen der Stadt einzumischen.
Heißt das, alles ist gut? In Oldenburg, in Deutschland, in der Welt? Niemand wird diese Frage bejahen.
Die Freiheit zur Meinungsäußerung und damit zur Einmischung hat in unserem Land hat jede/ jeder, so steht es in Art. 5 GG.
Aber was heißt denn Einmischung eigentlich? Sucht man nach der Wortbedeutung findet man „dazwischen- oder mitreden, seine Nase hineinstecken, stören“. In den Erläuterungen findet sich auch „aktives Tun, unbequem, von anderen negativ empfunden“. Einmischung also als deutlich negativ besetztes Tun.
Wie sieht es mit der Kirche aus, soll/ muss sie sich einmischen in die Politik auch wenn das bedeutet, dass sie dann vielleicht unangenehm auffällt?
Kaiser Wilhelm II. hatte dazu eine klare Meinung, die er 1896 so äußerte: „Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen aber die Politik aus dem Spiele lassen, dieweil sie das gar nichts angeht.“
Eine Meinung, die Kirchenleitenden auch heute – zeitgemäßer formuliert – gelegentlich begegnet.
Achten wir die Meinungsfreiheit anderer ohne uns diese Meinung aber zu eigen zu machen.
Unsere Freiheit als Christinnen und Christen ist eine größere als die in Art. 5 GG formulierte. Unseren Freiheitsbegriff beziehen wir auf Martin Luthers Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen (30): Ein Christenmensch ist ein freier Herr/ eine freie Frau über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht, eine dienstbare Magd aller Dinge und jedermann/ jederfrau untertan.
Gottes Liebe und Vergebung verpflichten uns als Mägde und Knechte zum Dienst an der Schöpfung und damit zur Einmischung in die Welt.
Gottes Liebe und Vergebung sind uns unbedingt zugesagt, das macht uns als Menschen frei auch gegenüber den negativen Reaktionen, wenn wir uns einmischen.
Die Rechte jedes einzelnen Menschen und die Schöpfung insgesamt zu schützen, den Frieden zu wahren sind wesentliche Aufgaben der Kirche.
Kirche muss sich einmischen, gerade dann und dort, wo sich sonst keiner kümmert, auf Missstände hinweisen, die andere schweigend hinnehmen. Und sie tut das auch:
Es gibt Verlautbarungen der EKD zu Wirtschafts-, Flüchtlings-, Armutsfragen usw.; Stellungnahmen des Ratsvorsitzenden und Leitender Geistlicher z.B. zu Asylpolitik, Energiefragen, multireligiösem Dialog, Pränataldiagnostik und jüngst zur Sterbehilfe.
Und diese häufig vielbeachteten Äußerungen sind wichtig, denn sie formulieren immer eine Position, die die Menschlichkeit vor die Wirtschaftlichkeit stellt, das Lebensrecht jedes Menschen und den Schutz der Natur einfordern.
Bleibt die Frage, wer ist eigentlich mit „Kirche“ gemeint, wenn eine der Leifragen an die Tischrednerinnen lautet: „Wo wünschen Sie sich die Einmischung der Kirche in die Welt bzw. die Politik?“ Ist Einmischung in Politik nur die Aufgabe der einzelnen Gliedkirchen der EKD, der EKD selbst? Ist es die Aufgabe einzelner Organ der Kirche, z.B. des Bischofs oder der Synode?
Kirche, das sind auch wir, jede Christin, jeder Christ. Wir als freie Christenmenschen sind als dienstbare Knechte und Mägde, wie Luther es formuliert hat, aufgefordert, uns einzumischen in die Welt und in die Politik vor Ort, gleich ob es um Bildungsfragen, die Unterbringung von Asylanten oder den Tierschutz geht.
Ganz wesentliche Impulse der Reformation, die mein Leben als Frau heute beeinflussen sind diese unbedingte Zusage von Gottes Liebe und Vergebung, also die Freiheit als Christin und damit auch der Auftrag, uns einzumischen in die Welt. Und Teil dieser Welt ist auch unsere Kirche: für die Institution Kirche war die Reformation der Anstoß für unzählige Veränderungen seither. Frauenordination und eine Frau an der Spitze einer Synode sind nur in der Folge der Reformation denkbar und selbst das bis heute nicht in allen evangelischen Kirchen dieser Welt. Einer der Kernsätze der Reformation ecclesia semper reformanda ist Aufforderung an uns, uns auch in der Kirche weiter einzumischen. Ohne Einmischung, ohne Anstoß von außen, auch wenn er unbequem ist und stört, gibt es keine Veränderung – nicht in der Welt und nicht in der Kirche.
Unsere Gastgeberinnen haben als Leitthema Die radikale Freiheit zur Einmischung in die Welt formuliert. Eine Bedeutung des Wortes „radikal“ ist „im Denken und Handeln von der Norm abweichend“ also seien wir nicht brav und angepasst!
Meine These lautet daher:
Jede und jeder mit ihren/ seinen ganz eigenen Möglichkeiten mische sich ein in der Welt, vor Ort, in der Kirche. Lasst uns gleich ob Bischof, Hausfrau, Studentin oder Rentner unbequem sein, stören und mahnen bei Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch.