Sabine Scheuter – Theologin für Gendermanagement und Präsidentin der Frauenkonferenz SEK

Tischrede beim Frauenmahl in Widen-Aargau (CH) am 18. August 2017
Sabine Scheuter 
zum 22. ökumenischen FrauenKirchenFest Aargau
„Frauen wandelten die Kirche. Ruach wandelt ALLE. Wir wandeln mit“
18. August 2017, reformierte Kirchgemeinde Bremgarten-Mutschellen

Liebe Frauen

Letztes Jahr habe ich teilgenommen an einer Begegnungsreise mit reformierten Frauen in Ägypten. Es besteht eine Partnerschaft zwischen der Ref. Kirche BeJuSo und der Reformierten Kirche in Ägypten, eine Minderheitenkirche, die aber doch etwa 1 Mio Mitglieder hat. Ein wichtiges Thema dieser Partnerschaft ist der Austausch unter Frauen.
In der Ref. Kirche in Ägypten gibt es keine Frauenordination. Wir haben tolle Frauen getroffen, aber sie haben nicht die gleichen Rechte. Nicht im Pfarramt, und auch in Behörden nur teilweise.

Solche Begegnungen tun gut. Sie schärfen den Blick für das Eigene. Wenn ich versuche, mit den Augen der Ägypterinnen unsere, d.h. die Reformierte Situation in der Schweiz zu betrachten, dürfen wir froh und auf einiges auch stolz sein: Wir haben tatsächlich viel erreicht!
Vor ein paar Jahren haben wir 50 Jahre Frauenordination gefeiert.
Dies wurde möglich, weil in den kirchlichen Verfassungen (noch bevor das Frauenstimmrecht in der CH eingeführt wurde) Frauen das Stimm- und Wahlrecht erhielten. Seither haben wir Zugang zu allen Ämtern.
Wir erhalten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Auch die kirchliche Kultur hat sich ein Stück weit verändert. Frauengeschichten, Gottesbilder, Liedgut: Was sich Pfarrerinnen meist neben der offiziellen Uni-Lehre, aber immerhin, angeeignet haben, hat Auswirkungen auf Liturgien und Predigten. Was unzählige Frauengruppen erarbeitet und gefordert haben, ist nicht ohne Einfluss auf kirchliche Veranstaltungen und Bildungsangebote geblieben.

Aber es gibt auch Fakten, die ein anderes Bild zeigen. Wenn wir genauer hinschauen zeigt sich, dass wir uns nicht einfach zurücklehnen können. Denn Gleichberechtigung ist noch keine Gleichstellung. Es gibt auch in den reformierten Kirchen Bereiche, wo diese noch längst nicht erreicht ist.

Auf drei davon möchte ich heute eingehen:
1. Frauen im Pfarramt
2. Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen
3. Gottesbild

1. Frauen im Pfarramt
Seit gut 50 Jahren dürfen Frauen in der Zürcher Kirche ordiniert werden.
Allerdings durften die Pfarrerinnen in Zürich erst ab 1981 allein ein Pfarramt führen! Vorher konnten sie (wie übrigens auch Ausländer) nur dann in eine Gemeinde gewählt werden, wenn dort auch ein männlicher Kollege sozusagen das Hauptpfarramt innehatte!
Aber immerhin. Damit könnten wir eigentlich zufrieden sein, auf jeden Fall wenn wir uns mit unseren katholischen Kolleginnen vergleichen.
[Sind wir auch! Ich freue mich sehr darüber, dass die Visionen von predigenden Frauen, die schon unsere Schwestern in der Reformationszeit gehabt haben, und wofür sie vergeblich gekämpft haben, Wirklichkeit geworden sind.]
Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass gewisse Kollegen und Kirchenleiter bereits finden, es gäbe zu viele von uns! Die sogenannte Feminisierung könnte der Kirche schaden! Dabei ist unser Anteil im Pfarramt noch unter 40%.
Die Tendenz ist zwar steigend, aber: Der Pfarrberuf ist noch längst kein Frauenberuf geworden. Die Arbeitsbedingungen mit der Wohnsitzpflicht und oft sehr hohen Wochenstundenzahlen inkl. Arbeit an den Abenden und am Wochenende sind nicht sehr familienfreundlich. Viele Frauen arbeiten darum Teilzeit, und dies sind oft unsichere Stellen. Und viele steigen auch nach ein paar Jahren wieder aus, den Kirchen gehen damit wertvolle Ressourcen bzw. Menschen mit Gaben und Ideen verloren. In diesem Bereich gibt es noch einiges zu fordern und zu verändern.
Und noch ein Wermutstropfen, oder sogar eine ganze Flasche Wermut, ist folgendes:
Die Frauenordination ist weltweit und sogar in der Schweiz auch in der Protestantischen Kirche nach wie vor bzw. wieder neu umstritten!
Die Synode der lutherischen Kirche in Lettland hat vor einigen Monaten beschlossen, die Frauenordination wieder abzuschaffen. Und auch in freikirchlichen Kreisen in der Schweiz ist das Thema nicht mehr tabu, das erzählen mir jedenfalls Theologiestudentinnen über Mitstudenten, die aus einem traditionellen kirchlichen Milieu stammen.
Wir müssen also dranbleiben, es gibt nach wie vor zu tun!

2. Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen
Im Jahr 2006 ist ein Buch erschienen: Wenn Frauen Kirchen leiten.
Damals gab es gleichzeitig in der Schweiz 7 Präsidentinnen von Reformierten Kirchen. Heute sind es noch drei, zwischenzeitlich waren es auch mal nur zwei.
Bei den letzten Präsidentschaftswahlen in den grossen Kirchen Bern, Zürich und im SEK gab es unter den drei Anwärtern auf die Präsidentschaft jeweils keine einzige Frau!
In den Synoden liegt der Frauenanteil in den Reformierten Kirchen bei etwa 40%. In Zürich liegt er mit 38% unter dem Frauenanteil im Kantonsrat, und übrigens auch unter den entsprechenden Zahlen der katholischen Synode!

Dazu ist es auch interessant, die folgende Fragen zu stellen:
Wer ist für Theologie zuständig in meiner Kirche?
Wer ist Kirchenjurist (in)
Wer leitet das Personal?
Wer verwaltet die kirchlichen Finanzen?
Wer ist zuständig für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit?
Wer leitet die wichtigsten Projekte?

In meiner Kirche ist es tatsächlich so, dass die richtige Antwort auf jede dieser Fragen „ein Mann“ sein würde.

Was sind die Gründe dafür, dass die Frauen in kirchlichen Leitungsämtern untervertreten sind, und ihr Anteil sogar abgenommen hat in der letzten Zeit?
Nur kurz ein paar Hinweise:
Gesamtgesellschaftliches Phänomen
Vereinbarkeitsproblem bei hochprozentigen Stellen
Token-Theorie: Nach einer Präsidentin «ist die Pflicht getan»
Immer noch: Von Männern geprägte Kultur («Das tue ich mir doch nicht an»)
Frauen haben noch zu wenig Vorbilder
Frauen scheuen Konkurrenz und wollen sich nicht exponieren

Was können wir tun?
Fordern, wie die kanaanäische Frau!
Fordern, das die Frauen gemäss ihrem Anteil an der Basis auch in den Leitungsgremien vertreten sind. Im Bundesrat ebenso wie in den Kirchenleitungen.
Wir wollen uns nicht nur mit den Brosamen begnügen, die von den Tischen fallen, sondern an den Tischen Platz nehmen.
Wir müssen einander als Schwestern ermutigen und unterstützen, ein Leitungsamt zu übernehmen. Frauen brauchen mehr Ermutigung für diesen Schritt als Männer. Sie trauen sich oft erst, wenn andere sie unterstützen und ihnen versichern, dass sie geeignet sind für ein solches Amt.
Dann gilt es aber auch zu fordern, dass solche Ämter sich den Menschen anpassen, die wir dafür gewinnen wollen. Dass ein Leitungsamt auch in einer Teilzeitanstellung ausgeübt werden kann oder im Jobsharing, da muss noch viel passieren in den Köpfen und auf den politischen Agenden.

3. Zum Gottesbild
In den Sommerferien war ich in Locarno und habe die Kirche Madonna del Sasso besucht. In einer Kapelle dort ist ein wunderbares Bild zu sehen. Es zeigt eine Wolke, darauf sitzt rechts Gottvater, mit weissem Bart, wie es sich gehört, auf der linken Seite Jesus Christus, ungefähr derselbe Typ in jung, und darüber in der Mitte die Ruach, die heilige Geistkraft, in Gestalt einer Taube. In der Mitte aber, eingebettet zwischen Vater und Sohn, sitzt Maria. Sie befindet sich zwar etwas unterhalb der beiden, aber sie sitzt ebenfalls im Himmel, auf derselben göttlichen Wolke!
Um solche Bilder beneide ich manchmal die Katholikinnen. Wir Reformierten haben durch die Reformation die weibliche Repräsentanz im Bereich des Göttlichen verloren. Und müssen es nun mühsam wieder erkämpfen und entdecken, durch anstrengende Übersetzungsarbeit, die Aufarbeitung biblischer Gottesbilder und den Kampf um eine Geschlechtergerechte Sprache, z.B. wenn es um den Gottesnamen geht.
Dies in aller Kürze, natürlich gäbe es dazu noch viel mehr zu sagen.
Ich möchte aber nicht mit der Aufzählung von Defiziten abschliessen.
Denn es gibt durchaus auch Ermutigendes zu berichten. Dazu nochmals ein Beispiel aus allen drei Bereichen.

Schlussteil

Drei Erfahrungen haben mich in diesem Jahr berührt, erfreut und ermutigt.
 
1. Die Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) hat am 4. Juli dieses Jahres beschlossen, dass bis 2024 in allen Mitgliedkirchen die Frauenordination möglich sein soll. Und zur neuen Präsidentin wurde eine Frau gewählt, Najla Kassab, eine libanesische Pfarrerin. In ihrer Kirche wurde die Frauenordination erst im Februar dieses Jahres eingeführt. Sie ist die erste Frau, die dort ordiniert wurde, und leitet jetzt die Weltgemeinschaft der Reformierten Kirchen.
Ob die Mitgliedkirchen diese Vorgabe wirklich bis in 7 Jahren umgesetzt haben werden, da sind wohl Zweifel angebracht. Die Synode der Ägyptischen Kirche hat etwa erst in diesem März beschlossen, die Frage der FO nochmals für 10 Jahre zurückzustellen, die kirchliche Basis, vor allem auf dem Land, sei noch nicht so weit. Aber es ist ein ermutigendes Zeichen, ein Beschluss der immerhin von der Generalversammlung, einer Mehrheit aller delegierten  Frauen und Männer aller reformierten Kirchen weltweit getragen wird.

2. In der Schweiz wurde im Juni eine dritte Frau in den Rat des SEK gewählt, Ruth Pfister, Nichttheologin, eine Frau mit Familie aus der Thurgauer Kirche. Drei von sieben sind an sich noch kein Grund zum Jubeln. Aber diese Frau wurde gewählt, obwohl sie bisher wenig bekannt war, und sie hat sich gegen zwei Männer, beides bekannte Theologen und Kirchenleiter, durchsetzen können. Über diese Wahl habe ich mich ebenfalls sehr gefreut.

3. Als drittes würde ich Ihnen gerne ein Bild zeigen, doch da dies technisch nicht möglich ist, versuche ich es Ihnen zu beschreiben.
Am 8.März, am Frauentag, hat eine Gruppe von Theologinnen und Theologen, Studentinnen und Pfarrerinnen, eine bewegende und bewegte Aktion gemacht.
Sie haben dem Zwinglidenkmal in Zürich einen Pussyhat aufgesetzt. Für mich hatte diese Aktion eine hohe Symbolwirkung.

Die kirchliche Frauenbewegung ist lebendig, sie ist frech, frisch und farbig.
Sie ist jung, oder mindestens jung und alt gemischt.
Sie wird getragen von Männern und Frauen, von Menschen, die sich für vielfältige Lebens- und Liebesformen einsetzen.
Diese Aktion hat mich sehr beeindruckt.
Ich möchte dazu zum Schluss eine Kollegin zitieren, Stephanie Siegrist.
Sie hat über diese Aktion einen Text geschrieben, ein Plädoyer für eine Kirche, wie auch ich sie mir wünsche, eine Kirche der Vielfalt, der Solidarität und der Gerechtigkeit.
Folgendes sind ihre Worte:
Das Zusammenstehen dieser kirchlich engagierten Frauen und Männer ist ein verkörperter Sprechakt, ein sichtbarer Ruf nach Gerechtigkeit. Es ist der Ruf der in der Kirche Verdrängten, integrierte und gleichberechtigte Gemeindemitglieder zu sein, deren Leben in einem gemeinsamen Raum stattfinden darf.
Es ist der Ruf andersliebender Menschen, nicht mehr in räumlich und zeitlich getrennte Spezialgottesdienste verfrachtet zu werden.
Es ist der Ruf der kinderlosen Frau, die am Muttertag beim Gottesdienst abgesondert allein im Bank zurückbleibt, weil die Mütter für die Geschenkübergabe nach vorn gerufen werden.
Es ist der Ruf junger Väter, die sich die Kindererziehung mit ihren Frauen teilen und Eltern- statt Müttertreffen möchten.
Es ist der Ruf der Marginalisierten nach sozialer Gerechtigkeit, statt paternalistischen Almosen.
Es ist der Ruf der Kirchensteuerzahlenden, Pfarrerinnen auch an die prestigeträchtigen Kirchen zu berufen.
Es ist der Ruf der Studierenden, feministischen und queeren (Befreiungs-)Theologien den gebührenden Raum zu geben und für Professorinnen Platz zu schaffen.
Es ist der Ruf der Pfarrerin, die nach innen unsichtbar die Gemeinde betreut, während ihr Pfarrkollege nach aussen sichtbar in den Gremien und Medien auftritt.
Es ist der Ruf der Jungen, den kirchlichen Raum so zu gestalten, dass sie sich trotz der vom Leben geforderten Flexibilität und Mobilität beteiligen können.
Es ist der Ruf der Gläubigen, die Trennung von Geist und Körper zu überwinden und Raum für die sinnliche Glaubensausübung etwa mit Kerzen zu schaffen.
Es ist der Ruf der Frauen nach einem Gottesverständnis, indem das Weibliche mitgedacht wird.
Es ist der Ruf nach einer Sprache, die nicht Macht, Geschlechterstereotype und Heteronormativität perpetuiert, sondern Wertschätzung erzeugt.
Der Ruf der abwesenden Mehrheit ist schlicht derjenige nach einem Raum des Seins, in dem Menschen nicht von sich, den anderen und Gott entfremdet werden, sondern sich angstfrei in der Gemeinschaft erleben können.
Es ist der Ruf nach innerer und äusserer Freiheit, die nicht aus uns selbst, sondern als Beziehung unter uns entsteht.
Es ist der überwältigende Ruf, die Vergötterung der Denk- und Lebensweise einer kleinen Gruppe zu überwinden und die Kirche zu einem Raum für eine Gemeinschaft der Liebenden zu machen.
Es ist der Ruf nach der Verwirklichung der Lehre Jesu in der Reformierten Kirche.

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