Sabine Schicke – Stv. Leiterin der NWZ-Stadtredaktion Oldenburg

Tischrede von Sabine Schicke, Stv. Leiterin der NWZ-Stadtredaktion Oldenburg beim 3. Oldenburger Frauenmahl am 28. Oktober 2016 im Lambertus-Saal der St. Lamberti-Kirche
 
Guten Abend, meine Damen!
Würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen, wenn ich wüsste, dass morgen die Welt in Flammen aufgeht? Ich möchte Ihnen eine Frau vorstellen, die diese Hoffnung, diese Kraft und Zuversicht hatte und hat. Nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familie. Dazu nehme ich Sie jetzt mit auf eine Zeitreise zurück in das Jahr 1999. Es war der schreckliche Höhepunkt der Balkankrise mit den Bombardements während des Kosovokrieges und den Vergeltungen am Boden an den Zivilisten. Eines Tages im April jenes Jahres wurden 624 Menschen aus dem Lager Skopje nach Bremen ausgeflogen.
Diese Flüchtlinge kamen mit dem Bus in die Unterkunft nach Blankenburg. Dort lernte ich Ferdije Etemi, ihren Mann und ihre drei kleinen Kinder kennen, um als Journalistin über sie zu schreiben. Alles, was die Fünf hatten retten können, trugen sie am Leib.
Bei meinem ersten Besuch bot Ferdije mir frische Erdbeeren an. Die hatte sie für die Kinder von dem bisschen Geld, was sie bekommen hatten, gekauft. Einen Moment lang dachte ich, hätte sie nicht etwas Nützlicheres kaufen sollen, wo sie doch so gar nichts haben? Warum ausgerechnet Erdbeeren? Als hätte sie meine Gedanken lesen können, erzählte sie mir, dass sie mit diesen Erdbeeren ihren Kindern auch ein Zeichen der Hoffnung geben wollte, etwas Schönes in all dem Elend.
Wenige Tage später besuchte der damalige Bischof Peter Krug die Geflüchteten. Er verteilte Töpfe mit blühenden Margeriten als Willkommensgruß. Bei manchen waren die Blüten nach wenigen Tagen vertrocknet, nicht so bei Ferdije. Gemeinsam mit ihren drei Kindern wässerte und hegte sie die kleine Blume. Für die Biologin war die wachsende Natur ein Stück Hoffnung auf eine friedliche Welt. Wohl eben im Lutherschen Sinne des Apfelbäumchens. Ferdije hatte Zerstörung und Gewalt erlebt und mit der Familie in dem Gefangenencamp in Skopje auf der blanken Erde geschlafen. Sie wusste nicht, ob ihre Eltern überhaupt noch lebten. Doch gerade das Wachsen einer kleinen Pflanze machte ihr Hoffnung, die sie an ihren Mann und die Kinder weitergeben konnte. Das hat mich damals sehr berührt.
Wissenschaftler sprechen heute von Resilienz, als Widerstandskraft gegen die Herausforderungen des Schicksals. Manche zerbrechen, andere wachsen. Ferdije wuchs über sich hinaus. Und ich fragte mich immer wieder, ob ich diese Stärke in einer scheinbar so hoffnungslosen Situation hätte aufbringen können?
Bei dem Motto für dieses heutige Frauenmahl möchte ich auf diese Stadt schauen und stellvertretend für die vielen ehrenamtlichen Frauen, die sich besonders aus kirchlichen Kreisen für Flüchtlinge engagieren, drei Frauen betrachten. Sie haben für mich dazu beigetragen oder tun es noch, dass wir als Stadtgesellschaft durch Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen bereichert werden können, wenn wir Angst, Vorurteile und Ablehnung überwinden. Dazu zählt für mich die ehemalige Oldenburger Integrationsbeauftragte Prof. Dr. Ayca Polat. Sie hat einen interreligiösen Kreis mit auf den Weg gebracht. Ich durfte einmal an einer Sitzung teilnehmen: 13 Frauen und Männer aus ganz unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften ringen mit großem gegenseitigem Respekt um Toleranz und Verständigung. Meine Hoffnung ist, dass mehr Menschen diesem Beispiel folgen: in dieser Stadt, in diesem Land, auf dieser Welt. Gern würde ich jetzt sagen, schauen wir auf die Katharina-von-Bora-Kirche, doch sie heißt nun einmal Martin-Luther-Kirche und steht in Dietrichsfeld im Nordwesten Oldenburgs. Unweit davon gibt es den Stadtteiltreff Dietrichsfeld, in dem Flüchtlinge und Oldenburgerinnen seit Jahren ein Miteinander jenseits aller Glaubensgrenzen leben und damit jene Lügen strafen, die so etwas für unmöglich halten. Pastorin Anja Kramer und Taibe Mehrabani, selbst als Flüchtling gekommen, zählen zu jenen Frauen, die den Stadtteiltreff mit Leben erfüllen. Taibe Mehrabani beschenkt die Menschen, vor allem die Kinder, mit einer Warmherzigkeit, die viele von uns verlernt haben, wenn sie ihre täglichen To-Do-Listen abarbeiten oder durch die Woche hetzen.
Was kann Kirche zu einer gerechten Globalisierung beitragen? Das ist ein mehr als abendfüllendes Thema. Erlauben Sie für diese Minute, die bleibt, eine verkürzte Antwort: Kirche kann gerechte Löhne zahlen für Mitarbeiterinnen in Kliniken, Heimen und Kindergärten. Kirche kann Asyl sein und Zuflucht für jene, die Vater, Mutter, Tochter, Bruder oder ihr Haus und ihr Stück Land verloren haben. Für jene, die keine Heimat mehr haben, aber einen Glauben. Meine Großmutter Selma kam 1949 als Flüchtlingsfrau mit ihrer Tochter aus Schlesien in diese Stadt. Im Gepäck nicht viel mehr als ihre Konfirmationsbibel mit dem Spruch: „Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.“ Als Kind saß ich neben ihr in der Auferstehungskirche und hörte sie singen. „Ein feste Burg ist unser Gott“.
Als erwachsene Journalistin habe ich sie immer um ihren festen Glauben beneidet, aber ihre Bibel mit dem verblassten Goldschnitt und der Sütterlinschrift steht noch immer in meinem Regal. Selma hat auch nie die Hoffnung verloren. Das hatte sie übrigens gemeinsam mit Ferdije, von der ich Ihnen am Anfang erzählt habe. Für ihre Kinder kaufte Ferdije Erdbeeren, die sie ihrem Mann und sich verwehrte, aber mir, dem fremden Gast, anbot. Ferdije Etemi blieb mit ihrer Familie knapp ein Jahr in Deutschland und kehrte dann in ihre Heimat zurück. Heute ist sie Professorin für Biologie in Pristina und engagiert sich weiter für den Frieden und den Wiederaufbau im Kosovo. Sie war eine Oldenburgerin auf Zeit.
Daran denkt sie dankbar zurück. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse besuchte vor vier Wochen Oldenburg. Er hat einmal einen Satz gesagt, dem ich mich anschließen möchte: „Die zu uns Gekommenen sollen heimisch werden im fremden Land. Und die Einheimischen sollen nicht fremd werden im eigenen Land.“ Ich danke Ihnen.

Sabine Schicke

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