Signe Theill – Künstlerin, Kuratorin

Marburg, 30.10.2011

Von Schuld und Unschuld

oder Mutter wie hast du mich geboren ?

Anlässlich der Ausstellung
doublebind.kunst.kinder.karriere, die ich 2003 kuratiert habe, habe ich mich
intensiv mit dem Begriff der Mutterschaft auseinandergesetzt.Was bedeutet es heute Kinder zu haben, Mutter
zu sein, Künstlerin zu sein, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Gerade in Deutschland wird man immer wieder mit dem
idealisierten Begriff der Mutterschaft konfrontiert unddies ist der Vereinbarung von Beruf und
Familie nicht gerade förderlich.

Ein Bild, das sich
beim Thema Mutterschaft nach vorne schiebt ist das der „Mutter“ Maria mit dem
Kinde.Mit dem Kind, das nicht gezeugt
wurde, sondern von einer „unbefleckten“ Frau empfangen. Weil Gott nicht, wie
der Göttervater Zeus, der gerne jungen Damen beiwohnte, sich mit einer Frau in
Liebe vereinigen wollte, sondern den Erzengel Gabriel schickte, der Maria die
frohe Nachricht überbrachte.Worauf
diese neun Monate später einen Sohn gebar, ohne in „Sünde“ gefallen zu sein.

Dies benennt zwei zentrale Begriffe, die immer wieder mit
der weiblichen Sexualität in Verbindung gebracht wurden:Den der „Unbeflecktheit“ und den der „Sünde“.
Das „Wunder“ der unbefleckten Empfängnisist durch die Säkularisierung der Religion Moralvorstellung für die
weibliche Sexualität geworden.

So zieht sich die unbefleckte Empfängnis und damit der
„Sündenfall“-wir erinnern uns, auch da
war Eva „schuld“ -als Motiv nicht nur
durch die katholische Kirchengeschichte sondern findet sich als moralisch
prägende Vorstellung über den Umgang mit weiblicher Sexualität in zahlreichen
Romanen, am dramatischsten vielleicht in Goethes Faust. Gretchen als
„gefallenes Mädchen“ muss sterben, weil sie das von ihr geborene Kind tötet.
Sie ist die Anti-Maria, sie, die Mutter, die sich schuldiggemacht hat, die befleckt ist, und das Kind
aus einer „schuldigen“ Beziehung dürfen nicht leben.

Ihr Schicksal ist das der „gefallenen“ Mädchen und
Frauen, die sich durch die Geschichte der Literatur der letzten Jahrhunderte
zieht. So bei Friedrich Hebbel in der Tragödie „Maria Magdalena“ oder bei
Gerhard Hauptmann in „Rose Bernd“. Wenn wir Literatur als Spiegel betrachten,
zieht sich der Begriff der „Sünde“ im Verhältnis zur weiblichen Sexualität
durch die Gesellschaft und durch das Verhältnis von Männern und Frauen in den
letzten Jahrhunderten.Die Frau ist die
„Heilige“ als Angebetete und später Ehefrau, daneben gibt es zur Befriedigung
der „niederen“ oder wie sie seit Freud genannt werden „triebhaften“ sexuellen
Bedürfnisse die Geliebte, die auch als Geliebte leicht zur „Hure“ werden kann.
Diese Schizophrenie verhinderte lange eine sexuelle Identität der Frau, und
wurde erst durch die Frauenbewegung aufgehoben. Das Schlimme ist, dass diese
Betrachtung der Frauen sich in der Literatur, im Film und in heutiger Zeit auch
gerade in der Musik wieder spiegelt. In Form dieser Literarisierung wird diese
Vorstellung immer weiter getragen und selbst noch im 21. Jahrhundert müssen
Frauen gegen diese Zuschreibung anrennen.

Die Filmemacherin Ula Stöckl, eine der deutschen
Filmpionierinnen, mittlerweile etwas über 70 Jahre, sagte, sie habe den
Eindruck, dass die jungen Frauen heute ihre Unschuld nicht mehr verlieren,
sondern sie regelrecht wegwerfen möchten.

Sie möchten nicht unschuldig und nicht schuldig sein,
sondern Frauen. Menschen, nicht Projektionsgefäße moralischer Vorstellungen.
Aber was ist das für eine Vorstellung, in der Sexualität mit Schuld in
Verbindung gebracht wird, eine Frau ihre „Unschuld“ verliert, wenn sie ihre
Sexualität erfährt.

Oft habe ich mich bei der Recherche zu den Künstlerinnenbiografien
der Ausstellung auch gefragt: was wäre gewesen, wenn Jesus auf
geschlechtlichem, also normalen Weg gezeugt worden wäre und einen biologischen
Vater gehabt hätte. Brauchte es wirklich die jungfräuliche Geburt, um ihnals Auserwählten zu kennzeichnenbzw. damit er als Auserwählter exemplarisch
handeln konnte.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne eine Arbeit von
Valie Export vorstellen, die ich in der Ausstellung doublebind.
kunst.kinder.karriere gezeigt habe. Es handelt sich um die Arbeit Homo Meter II, eine
Straßenaktion von 1976.

Hier bindet sich die Künstlerin einen Laib Brot vor den
Bauch, und fordert männliche Passanten dazu auf, sich einen Teil
davon herauszuschneiden. Dieses Moment der Aneignung des weiblichen schwangeren
Bauches, diese Aufforderung teilzuhaben ( ähnlich der Eucharistie)und zur geteilten Verantwortung steht tief in
der christlichen Tradition und Ikonografie und durchbricht sie zugleich, sie
macht sich weiblich /leiblich nicht
mehr zum Opfer sondern geht offensiv damit um, sie gibt ab und fordert Teilhabe
am weiblichen Körper und seiner Frucht.


In diesem Miteinander, in dieser geteilten Verantwortung
liegt nicht nur bezogen auf Kinder, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt
die Zukunft.

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