Es ist an der Zeit, Singles – Menschen, die ohne Paarbeziehung leben – wertschätzender und differenzierter in den Blick zu nehmen. Aus dem Reformationssommer 2017 nehmen wir als Evangelisches Zentrum Frauen und Männer gGmbH diesen eindringlichen Appell an Kirche und Gesellschaft mit in unsere weitere Arbeit.
Zwar ist das Singlesein für uns und unsere Gesellschafter, die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) und die Männerarbeit der EKD (MAEKD), kein ganz neues Thema. Schon seit mehreren Jahren denken wir in der Debatte um die Vielfalt von Lebensformen und Identitäten selbstverständlich auch diejenigen mit, die allein leben. So erstmals 2013 im Rahmen der Fachtagung „Liebesleben6“, sodann 2015 mit unserem Online-Projekt „Eine Tür“. Allerdings kam das Singlesein dabei zunächst als eine Lebensform unter anderen in den Blick; seine Wahrnehmung stand im Zeichen eines wertschätzenden Umgangs mit Vielfalt insgesamt. Die Abschlussveranstaltung der von uns verantworteten Themenwoche „Familie – Lebensformen – Gender“ in Wittenberg ergab jedoch, dass es dringend notwendig ist, die Lebenssituation von Alleinlebenden eigens zu würdigen und zu reflektieren.
Denn der Blick auf Singles in unserer Gesellschaft ist geprägt von einem Paradox: Einerseits steigt die Zahl der alleinlebenden Menschen stetig an auf insgesamt 18 Millionen (Stat. Bundesamt, 2014). Andererseits kommen sie im sozialen und kulturellen Bewusstsein unserer Gesellschaft kaum vor. Darüber hinaus lässt sich in Kirche und Theologie rund um das Alleinleben eine eigentümliche Sprachlosigkeit ausmachen.
Das wollen wir ändern und richten unser „Spotlight“ 2018 auf die Thematik „Single-Sein in Theologie, Kirche und Gesellschaft“. Dazu findet im September zunächst ein interdisziplinäres Expert_innen-Hearing statt. Für Ende des Jahres planen wir den Auftakt zu einem spirituellen Format in den Sozialen Medien.
Mit unseren unterschiedlichen Projekten zum Thema Singlesein wollen wir unterschiedliche Zielgruppen erreichen:
- Menschen, die selbst als Singles leben, insbesondere in unserer Kirche
- Gemeindeglieder, Haupt- und Ehrenamtliche in lokalen Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen
- Leitende in Kirche und Diakonie Akteur_innen in Politik und Gesellschaft
Im Sinne einer differenzierten Annäherung an die Thematik stellen wir im Folgenden unsere Vision, unsere Perspektiven und unsere Thesen zur Diskussion.
Unsere Vision
Unsere Vision ist eine Single-freundliche Kirche. Dafür treten wir als Evangelisches Zentrum Frauen und Männer ein. Wenn wir von Singles sprechen, dann meinen wir Menschen, die nach eignen Angaben keine dauerhafte Partnerschaft führen und sich selbst als Singles begreifen und bezeichnen (s. Baas/Schmidt/Wahl 2008). Das kann ausdrücklich auch Alleinerziehende und Pflegende einschließen. Wir wollen eine Kirche, die sich den vielfältigen Lebensrealitäten dieser Menschen aktiv öffnet und sie bewusst als gleichwertige Glieder am Leib Christi wahrnimmt und willkommen heißt.
Wir sind davon überzeugt, dass dies auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens dazu herausfordert:
- sich selbstkritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern Theologie und Kirche zur Marginalisierung oder gar Diskriminierung des Singleseins beitragen
- die theologische und pastorale Sensibilität für die spezifische Situation von alleinstehenden Menschen nachhaltig zu fördern
- im gemeindlichen Alltag Anknüpfungspunkte für alleinstehende Menschen zu schaffen und durch konkrete Angebote ihnen Heimat zu werden
Wenn Theologie und Kirche sich diesen Herausforderungen stellen, können sie eine Vorbildfunktion übernehmen. Denn ein solcher Aufbruch hin zu einer Single-freundlichen Kirche wird zugleich politische und gesamtgesellschaftliche Strahlkraft entfalten.
Unsere Prämissen
Wenn wir als Evangelisches Zentrum Frauen und Männer das „Single-Sein“ thematisieren, dann tun wir das mit den drei folgenden Vorzeichen vor der Klammer:
- Geschlechterbewusstsein: Wir wollen wissen, welchen Einfluss das Geschlecht darauf hat, wie Singles ihre Lebensform selbst einschätzen und gestalten bzw. wie das Leben ohne Paarbeziehung von anderen wahrgenommen wird.
- Normativitätskritik: Wir analysieren, inwiefern sich die Auffassung von Ehe und Familie als selbstverständliche Norm destruktiv auf die Lebenssituation von Singles auswirkt.
- Ambiguitätstoleranz: Es ist uns wichtig anzuerkennen, dass alle Lebensformen sowohl Erfahrungen von Erfüllung als auch von Schmerz mit sich bringen können.
Unsere Thesen
Singles sind überall. Auf das Singlesein kann niemand mit distanziertem Blick schauen, denn jeder Mensch hat in seinem Leben Phasen des Alleinseins durchlaufen. Und die meisten Menschen, die in Partnerschaft leben, begegnen immer wieder Singles in ihrem privaten, öffentlichen oder beruflichen Umfeld. Auch können Menschen in Paarbeziehungen jederzeit zu Singles zu werden.
Singles sind kaum im Blick. Das Single-Leben scheint sich in einer Art „totem Winkel“ der gesellschaftlichen Wahrnehmung abzuspielen. Wir befürchten, dass der protestantisch-ethische Diskurs an dieser Situation nicht unbeteiligt ist, weil er bis heute vielfach durch eine fast sakramentale Aufladung der evangelischen Ehe geprägt ist.
Singles sind verschieden. Den Single gibt es nicht. Menschen, die allein leben, erfahren ihre Lebenssituation ganz unterschiedlich. Sie können freiwillig oder unfreiwillig Single sein, zeitweilig oder auf Dauer. Mit dem Lebensalter kann sich die Einstellung zum Alleinleben verändern.
Singles haben ein Geschlecht. So geht die Initiative zur Trennung häufiger von Frauen aus. Männliche Singles dagegen versuchen dringlicher, ihre Situation wieder zu verändern. Geschlechtsspezifische Rollenmuster führen zudem bis heute dazu, dass Frauen und Männer nach einer Trennung vor unterschiedlichen Alltagsproblemen stehen. Auch in den Bereichen Gesundheit, Berufsleben und Armutsrisiko lassen sich Unterschiede ausmachen.
Ein differenzierter Blick auf Singles tut also not.
Einen Aufschlag machte das Evangelische Zentrum Frauen und Männer mit einem Expert_innen-Hearing am 13.09.2018 im Kirchenamt der EKD in Hannover. Hier finden Sie die Vorträge des Tages als Filmbeiträge.