Sr. Clarissa Watermann – Ordensschwester, Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene

Bonn, 09.10.2011

Vorstellung der Weltsituation – mit zwei Wasserkrügen

Was tue ich angesichts dieser Weltsituation? Wozu fordert
mich unser Gott/unsere Göttin heraus?

Irgendwann in meinem Leben bin ich dem Gott in Kontakt
gekommen, der ein Gott des Lebens ist und Leben für alle will. Gott, der von
sich sagt, dass er das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht
nicht auslöscht – eine Vision beim Propheten Jesaja (Jes 42,3)

Dominikus, der im 12. Jahrhundert lebte und Gründer des
Dominikanerordens wurde, gab seinen Brüdern und Schwestern mit auf den Weg:
„Seid bedacht auf das Heil der Menschen!“.

Und so ist meine Vision für unsere Welt SOLIDARITÄT aller
mit allen. Solange jemand mehr hat als eine andere ist das Prinzip des Teilens
sinnvoll- Teilen von materiellen Dingen, von Ideen, von Wohnraum, von Fürsorge.
Solange eine mehr kann als eine andere, bringt sie ihr Können ein, solange eine
gesunder ist, packt sie kräftiger an. Das ist wirkungsvoller als
Versicherungen, Bankkonten und Rentenabsicherungen uns weiß machen. Das hilft
Leben im Falle von Kind-sein, Alt-sein, Behindert-sein, im Fall von Zerstörung
der Umwelt durch Unwetter, Dürre und Krieg.

Der Motor für mein Handeln ist die Idee des
„Well-being-of-all“. Leben ist Geschenk, ist Mit-Schöpferin sein, ist Energie
zum Sein! Diese Idee möchte ich überall dahin bringen, wo Unheil ist.

Das ist mein Reden und Handeln, wo ich auch bin. Einigen
Leuten gefällt das, andere – die meisten – tun das Spinnerei ab.

Aber wenn ich nur allein mit meiner Idee umgehen müsste,
ich würde mutlos werden. Meine wichtigste Energiesteckdose ist unser Gott.
Daneben suche ich mir immer wieder Menschen, die mit mir träumen von einer
solidarischen Welt.

Eine wichtige Gruppe ist für mich die Initiative
„Ordensleute für den Frieden“. In den 1980er Jahren schlossen sich Ordensleute
in Deutschland im Rahmen der damals großen Friedensbewegung zusammen, um sich
betend und protestierend für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
einzusetzen. Heute beschäftigen wir uns mit dem herrschenden Wirtschaftssystem
des Kapitalismus. Wir erkennen, „weil wenige reich sind, sind viele arm“ und
„unser Wirtschaftssystem geht über Leichen“ (Text auf Protestbannern). Die
Deutsche Bank in Frankfurt ist unser bevorzugter Ort des Protestes. Wir setzen
Zeichen zivilen Ungehorsams. In diesem Jahr kippten wir zum Thema „Keine
Profite auf Kosten anderer“ Müll vor die Bank mit dem Slogan: „Glanz in der
Hütte – Dreck vor der Tür“.Wir
pflanzten ein Apfelbäumchen vor die Bank und stellten eine Platte davor mit der
Aufschrift: „den Opfern der Gier“.

Aber – je älter ich werde, desto mehr suche ich zum
Auftanken meiner Energiereserven Gott – Gott allein; denn mit ihm fühle ich
mich mit meinen Überzeugungen im Bund. Ich brauche Zeiten, um die Batterie wieder
von ihm / von meiner Schöpferin füllen zu lassen.

Da sind für mich Zeiten von Exerzitien wichtig geworden –
Zeiten der Ruhe in und mit Gott. Darin lerne ich wieder neu achtsam zu werden –
mit mir, mit den Menschen an meiner Seite und der Umwelt. Liebevoll mit mir und
den anderen umzugehen und aufmerksam.

Vor einigen Jahren lernte ich die Straßenexerzitien
kennen – Gott begegnen in der Stadt, ihn auf der Straße treffen – in
Situationen, in denen er zu mir spricht und in Menschen, die mir begegnen. Der
Start in diese Exerzitien ist die Geschichte von Moses am brennenden Dornbusch.
Dieser hütete einst die Schafe seines Schwiegervaters und hatte dabei nichts
Frommes im Sinn. Da sah er auf der Steppe einen Dornbusch brennen, dieser
brannte, aber verbrannte dennoch nicht. Das erregte die Aufmerksamkeit von Moses
und er ging näher, um sich dieses Phänomen anzuschauen. Er hörte eine Stimme
aus dem brennenden Dornbuch: „Zieh deine Schuhe aus; denn der Ort, wo du
stehst, ist heiliger Boden!“ Gott stellte sich dem Mose vor und kam mit ihm ins
Gespräch. Am Ende wusste Moses, was er zu tun hatte. Gott hatte ihm einen
Auftrag gegeben, nämlich sein Volk in die Freiheit zu führen.

Anhand dieser Geschichte mache ich mich auf den Weg durch
die Stadt – absichtslos. Irgendwann sehe ich etwas, was meine Aufmerksamkeit
erregt. Ich gehe hin und schaue mir das näher an. Dazu ziehe ich meine Schuhe
aus – wie damals Mose; denn – möglicherweise ist hier heiliger Boden, Gott
möchte mir hier begegnen und mit mir ins Gespräch kommen. Ich nehme mir Zeit zu
hören und zu sehen. Ohne Schuhe an den Füßen laufe ich nicht so schnell weg –
nicht wenn es langweilig ist, nicht wenn es ein bisschen gefährlich wird. Dann
mache ich mich wieder auf den Weg und erlebe solch eine Situation evtl.
mehrmals am Tag. Abends werden die Erfahrungen des Tages in einer
Exerzitengruppe ausgetauscht und besprochen. Am Ende der Woche kommt immer
etwas heraus, so dass der Exerzitant weiß, was Gott jetzt von ihm/von ihr will.

Von einem mir wegweisenden Erlebnis von meinen
Straßenexerzitien im letzten Sommer in Berlin will ich berichten: ich landete
auf dem Mauerweg vor dem Axel-Springer-Verlag vor einem Mauerrest, auf dem ein
Künstler die Figur eines balancierenden farbigen Mannes gestellt hatte. Ich saß
vor dieser Figur und betrachtete sie. Schließlich fiel mein Blick auf ein
Plakat am Straßenrand mit der Aufschrift: Zeitarbeit – der Anfang auf dem Weg
nach oben – Einstieg, Aufstieg, Wachstum. Auf der anderen Straßenseite zog eine
Demo von VERDI auf, die für gerechte Arbeit protestierte. Auf einer
Litfasssäule ein Spruch: Sei der Wind, nicht das Fähnchen! Ich saß barfuss
zwischen der Situation von Aufforderung zur Ausbeutung von Menschen und
Einforderung von Gerechtigkeit in der Arbeitswelt und wusste, dass ich der
Mensch sein muss, der die Balance hält, um weder auf der einen noch auf der
anderen Seite abzustürzen. Nur wenn es mir gelingt, Kontakt zu der einen wie
der anderen Seite zu haben, ist mein Atem lang genug, um eine solidarische Welt
einzufordern und für sie Wind zu sein. Das – so spüre ich, ist Gottes Auftrag für
mich in seiner/unserer Welt.

Es gibt also viel zu tun. Packen wir es an!

So sieht die Welt aus, wenn sich Solidarität aller mit
allen verwirklicht → Wasserbild


Hilfreich und inspirierend sind für mich Frauen wie meine
Namenspatronin Clara von Assisi. Sie wollte eine eigene Ordensregel für ihre
Neugründung, die der Vatikan ihr aber verwehrte. Zwei Tage vor ihrem Tod
erlebte sie die Bestätigung.

Etwas lieben, an etwas leiden, auf etwas hoffen und sich
mit brennendem Herzen für etwas einsetzen kann Motor sein für eine bessere
Welt. Wer weiß, was sich zwei Tage vor meinem Tod ereignet. Eine andere Welt
ist möglich, lasst sie uns bauen (Slogan des Weltsozialforums).Und – wer nicht
an Wunder glaubt, ist kein Realist (Ben Gurion – erster Staatspräsident Israels).

Frauenmahl Logo