Sr. Klarissa Watermann OP – Dominikanerin von Bethanien

Sr. Klarissa Watermann OP

Dominikanerin von Bethanien

Frankfurt/Main

Wie wollen wir leben – Bilder von unserer Zukunft

Tischrede beim Frauenmahl in Sendenhorst am 07.03.2015

Liebe Mit-mir-Frauen!

Ich freue mich über die Einladung, als gebürtige Sendenhorsterin heute bei diesem Frauenmahl das Wort an Sie richten zu dürfen.

Ich bin hier in Sendenhorst als Bauerntochter auf einem 34 ha großen Betrieb aufgewachsen. Die Menschen, die Tiere und die Natur um uns herum hatten ein gutes Leben. Als Großfamilie hatten wir unser Auskommen. Heute ist dieser Hof in eine mehrfache Betriebsgröße eingegangen; denn den Bauern wurde durch die Landwirtschaftpolitik beigebracht, dass sie im weltweiten Wettbewerb bestehen müssten. Und so entstehen immer mehr von den – von mir so genannten – "Agrarfabriken". Doch: wie ergeht es den Menschen, die in solchen Systemen Leben und Arbeiten verbinden, wie den Tieren, wie dem Boden?

Später in meinem Lebenslauf – in den 70/80er Jahren – war ich Kinderdorfmutter. Wichtig war mir da das Leben-teilen mit den Kindern und Zeit miteinander haben. Vieles haben wir miteinander beredet, Freud und Leid geteilt. Wenn ich heute unsere Kinderdorfmütter anschaue, sehe ich, dass sie oft am PC sitzen und Dokumentationen über die Kinder schreiben müssen.
Dient das dem Leben der Kinder?

Heute arbeite ich als Sozialarbeiterin in der Bahnhofsmission im Frankfurter Hauptbahnhof. Dort helfen wir Menschen, denen das Leben sozusagen aus dem Gleis gesprungen ist. In den letzten Monaten erlebe ich, dass Stellen, die frei werden, nicht mit professionellen Fachkräften wiederbesetzt werden, sondern dass die Träger von Caritas und Diakonie sie mit Ehrenamtlichen besetzen. Die soziale Not wird größer, aber Fachkräfte werden nicht bezahlt.

Wohin ist diese Welt gekommen?

Der Titel, der für dieses Frauenmahl gewählt wurde, heißt „Wie wollen wir leben“? Ich sage: so wie sich das Leben im Laufe meiner Lebenszeit in verschiedener Hinsicht entwickelt hat, wünsche ich mir die Weiterentwicklung nicht: Junge Menschen haben es schwer, einen sicheren Arbeitsplatz zu finden. Viele haben gar keine Chance und sind arbeitslos. Andere, die einen Job haben, sind überlastet. Die Erde ist an den Rand des Verträglichen gekommen, die Auswirkungen der Klimakatastrophe sind auch hier spürbar.

Ein bisschen zu meiner Biographie, damit Sie die Zukunftsbilder, die ich gleich vorstelle, verstehen können: Vor etwa 40 Jahren hat mich das Wort aus dem Evangelium getroffen: "Sucht zuerst das Reich Gottes, alles andere wird euch dazu gegeben werden!" Ich verstand darunter, mich für Heil und Wohlergehen – eigentlich für das gute Leben aller – einsetzen zu sollen. Gott hat die Welt geschaffen, dass es dem Menschen gut ergehe. So ging ich ins Kloster, um dort meine ganze Kraft für die Menschen einsetzen zu können.

In den Jahren, als ich Kinderdorfmutter war, kam ich in Kontakt zur Friedensbewegung in Deutschland in den 80er/90er Jahren. Von ihr ging für mich ein starker Impuls aus, mich nicht nur durch soziale Arbeit, sondern im Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, durch Strukturveränderungen für eine bessere Welt einzusetzen.

Als ich erkannte, dass Frauen weltweit zu den Benachteiligten gehören und Befreiung brauchen – besonders in der katholischen Kirche – bekam ich Zugang zur feministischen Theologie und zur Befreiungstheologie. Zudem wurde die "Option für die Armen" für mich bedeutsam. Das heißt, sich eine andere Brille aufzusetzen und die Welt mit den Augen der Menschen anzuschauen, die am Rand der Gesellschaft leben, mit den Augen der Armen, der Obdachlosen, der Harz IV-Empfänger, der Kinder ohne Chance und der Flüchtlinge. Dann sehe ich etwas anderes, als wenn ich begütert bin. Dann fälle ich Urteile zu Gunsten der Benachteiligten und komme in anderes Handeln für sie hinein.

So kam ich auch zur Initiative "Ordensleute für den Frieden". Seit 25 Jahren stehe ich mit ihnen bei Mahnwachen und Protestaktionen vor der Deutschen Bank in Frankfurt. Ich tue das nicht, weil ich so gern protestiere, sondern ich stehe dort anstelle der Armen in der Welt, die selbst nicht zum Protest kommen können. Der Slogan der Ordensleute für den Frieden lautet: "Unser Wirtschaftssystem geht über Leichen."

Heute haben wir Unterstützung durch Papst Franziskus, der sagt: "Diese Wirtschaft tötet!"
Ich erkenne, dass es unser Wirtschaftssystem ist, der Kapitalismus, der viele arm macht, weil wenige reich sind. Laut einer Oxfam Studie wächst die Ungleichheit in der Welt sehr schnell: 2016 besitzt 1 % der Weltbevölkerung mehr als der gesamte Rest. Das bedeutet, die Mehrheit wird immer tiefer in die Armutsfalle geraten – trotz aller persönlichen Anstrengung.

Wir brauchen eine andere Verteilung des Geldes. Mehr als 90 % der Geldmenge kreist um die Welt, um sich durch Handel und Spekulation zu vermehren und nur wenig steht der Realwirtschaft zur Verfügung. Das verursacht die Gier nach Profit, die wir allerorten erleben. Wir holen mit wenig finanziellem Einsatz Rohstoffe aus den Ländern z.B. Afrikas, zerstören dort die Lebensgrundlagen der Menschen und wundern uns anschließend über die Flüchtlingsströme, die unser Land erreichen.

Das Geld ist da, nur liegt es auf einem Haufen bei Reichen und Konzernen. Ich halte es da gern mit dem Heiligen Franziskus, der gesagt hat: Geld ist wie Mist, auf dem Haufen stinkt er, verteilt bringt er fruchtbare Felder! Mit den Ordensleuten haben wir darum einmal eine Mistaktion vor der Deutschen Bank gemacht. Wir kippten Hausmüll vor die Bank und begossen ihn mit Gülle. Das hat gut gestunken!

Was machen wir nun angesichts dieser Situation in der Welt? Sollen wir resignieren oder aufbrechen in eine andere? Ich denke, das kapitalistische Wirtschaftsystem ist durch Menschen gemacht, und darum auch durch Menschen veränderbar.

Darum hier meine Modelle für Leben in der Zukunft:

1. Solidarität – sie ist das einzige Mittel, um Stabilität und Sicherheit für jeden und jede zu schaffen. Einstehen füreinander rettet – in jeder Lebenslage: Reiche für Arme, Junge für Alte, Gesunde für Kranke – in Krieg und Frieden.

2. Geld muss anders verteilt werden.
– Wir brauchen BürgerInnenbewegungen von unten und PolitikerInnen von oben – weltweit – die sich trauen, Gesetze zu schaffen, die sicherstellen, dass Menschen überall wieder das  Lebensnotwendige haben.
– Arbeiten wir an anderen Wirtschaftsmodellen, z.B. der Gemeinwohlökonomie. Darin wird nur das gefördert, was dem allgemeinen Wohl dient.
– wir brauchen einen anderen Wachstumsbegriff. Weiteres ökonomisches Wachstum vernichtet unsere Lebensgrundlagen. Ein neuer Wachstumbegriff wäre: Wachstum zugunsten der Armen. Wachstum ist dann, wenn die Zahl der Armen abnimmt.

3. Wir brauchen eine andere Willkommenskultur für Menschen, die aus Notsituationen zu uns flüchten. Sie kommen aus Ländern, die wir mit unserer Wirtschaft so zerstörten, dass sie dort keine Zukunft mehr für sich sehen. Sollten sie wieder abgeschoben werden, weil ihnen hier kein Asyl zusteht, wäre meine Idee, dass sie zunächst eine Berufsausbildung erhalten und danach mit einem Startkapital versehen in ihre Heimat zurückgesandt werden. Dann entstände dort eine reale Lebenschance für sie, und weitere Generationen müssten nicht mehr von dort fliehen.

4. Wir sollten die Zukunft auf regionale Wirtschaftskreisläufe ausrichten. Dann brauchen wir kein TTIP; denn diese Handelsabkommen für Freihandelszonen haben sowieso nur zum Ziel, die Reichen und Konzerne zu begünstigen. Dann hätten wir gerechtere Erzeugerpreise, gesundere Nahrung, kleine Geschäfte, einen Mittelstand und Freude an unserer Region/Stadt.

5. Wir sollten der Natur eigene Rechte einräumen. Meines Wissens nach verankerte Ecuador als erstes Land der Welt eigene Rechte der Natur in der Verfassung. Das bedeutet, dass alles Wirtschaften daran gemessen wird, ob es naturverträglich ist.

Die vorgestellten Modelle brauchen eine Wende. Können wir die Hoffnung in uns hegen, dass sie zu schaffen ist? Es gab in unserer Lebenszeit immer mal wieder überraschende Wenden zum Guten. Denken Sie an den Fall der Mauer in Berlin oder die Wahl des jetzigen Papstes zum Oberhaupt der katholischen Kirche! Ich lebe von der Hoffnung, dass sich solch eine Wende ereignen kann, weil ich es mit unserem Gott halte, der sogar die Wende vom Tod zum Leben schaffte.

So schließe ich mit dem Wunsch, dass wir die Augen öffnen, um die kleinen Hoffnungszeichen zu sehen, die schon da sind, und dass wir mit Gleichgesinnten kleine Schritte in Richtung auf gutes Leben für alle tun!

Wir stehen an diesem Abend zwischen dem gestrigen Weltgebetstag, der Frauensolidarität ausdrückt, und dem internationalen Weltfrauentag morgen. Mit fällt dazu die Weiberwirtschaft als Form sanften Wirtschaftens ein. So wie Frauen ihren Haushalt führen und mit ihren Nachbarinnen z.B. Ableger von Pflanzen austauschen, so können wir Frauen unsere Stärke einsetzen, damit sich eine andere Wirtschaft Bahn bricht. Das wünsche ich uns als Bild für unsere Zukunft!

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