Susanne Garsoffky – Historikerin, Journalistin und Autorin

Frauenmahl Husum 24.6.2016

Katharina von Bora – ein Beispiel „weiblicher Werte“?

Sehr geehrter Damen, herzlichen Dank für die Einladung heute zum Frauenmahl nach Husum.

Und herzlichen Dank für die Organisation dieses – es ist wahrscheinlich gar nicht übertrieben, wenn ich das sage – historischen Ereignisses:
Frauen sitzen heute Abend hier zusammen, um in lutherischer Tradition gemeinsam zu Essen und zu Reden. Damit sind wir schon mitten im Thema meines Vortrages: denn die einzige Frau, die bei Martin Luther regelmäßig mit am Tisch saß, war Katharina von Bora. Ihr Leben, ihr Einfluss auf den Reformator und die Frage, ob dies Wirkung weiblicher Werte ist, sind Inhalt meines Vortrages – und das alles in zehn Minuten. Machen Sie sich auf etwas gefasst.
Eins steht schon mal fest: Luther wäre heute nicht begeistert: „Es ist kein Rock, der eine Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“, hält er in seinen Schriften fest. Denn, so weitere Zitate von ihm: „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden“. Und sogar: „Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da“.
Starker Tobak. Sätze, die befremden, ja schockieren. Und die alle emanzipatorischen und feministischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, ja Jahrhunderte als dringend notwendig erscheinen lassen. Luther, der Mönch, der Reformator – aus unserer Sicht heute ein Macho. Spät verheiratet mit einer Frau von der wir nur sehr wenig wissen. Die Quellen über Katharina von Bora sind spärlich – und werden über die Jahrhunderte mal in die eine, mal die andere Richtung interpretiert, je nach herrschendem Menschen- und Frauenbild.
Viel wichtiger als die Eckdaten ihrer Biographie – 1499 als Tochter eines verarmten Adeligen südlich von Leipzig geboren, nach dem Tod ihrer Mutter wahrscheinlich mit sechs Jahren in die Schule des Kloster der Benediktinerinnen gekommen und 1518 das ewige Gelübde als Braut Christi abgelegt – viel wichtiger als diese Daten ist daher die Frage nach der Persönlichkeit: Wie war Katharina von Bora? Die wahrscheinlichste Antwort: anders, als wir sie uns vorstellen. „In ihrer Mentalität, ihrem Denken und Handeln“, so formulierte es der Historiker Heinz Schilling in seiner großartigen Luther-Biographie, „gehörten sie – Katharina von Bora und Martin Luther – einer uns zutiefst fremden, vormodernen Welt an“. Der Welt des Mittelalters.
Einer Welt, die sich uns strukturierten, überinformierten Menschen kaum noch erschließt. Einer Welt, in der Männer und Frauen jeden Tag Dämonen und Engeln begegnen, in der die Aufklärung die Mysterien des Kosmos noch nicht erklärt hat, in der die göttliche Ordnung und der Aberglaube fester Bestandteil des Lebens sind.
Wenn wir über Katharina von Bora, ihre Wirkung auf Martin Luther und über weibliche Werte reden wollen, sollten wir diese Zeit voller Kontraste im Blick behalten: Auf der einen Seite die Ruhe der Wälder und unberührten Landschaften, auf der anderen die grobe Lautstärke und der Gestank der Städte, hier die ritterlichen Balladen, dort das Geschrei der Menschen auf dem Marktplatz während einer Hinrichtung. Die Gegensätze im Leben und Denken des mittelalterlichen Menschen, so der Historiker Otto Borst, seien „so grell und bunt, dass es den Geruch von Blut und Rosen in einem Atemzug vertrug.“
Widersprüche, die Katharina von Bora mit Sicherheit prägten. Genau so, wie die Ambivalenz der gesamten Epoche gegenüber Frauen. „Die Ursache allen Übels ist das Weib“, predigte schon im 4. Jahrhundert der Bischof von Turin. Und das Echo dieses Satzes halte durch die Jahrhunderte. Die Frau war keine Partnerin, kein gleichberechtigtes Gegenüber, sie war – vor allem im Credo der Kirche – ewige Versuchung. Selbst in der Ehe war die Sexualität nur zur Fortpflanzung rein. Alles andere war Sünde.
Es muss uns klar sein, dass diese Haltung den mittelalterlichen Menschen an einem neuralgischen Punkt traf. Stellen wir uns vor, wie die meisten Menschen damals gelebt haben: auf engstem Raum, oft in einem Zimmer mit einem Familienbett und ohne Toilette. Intimsphäre war ein Fremdwort, Nacktheit noch viel präsenter, als sie uns heute ist. Schamgefühl bei der Verrichtung aller körperlich notwendigen Dinge kannte man nicht. Männer und Frauen im Mittelalter waren hin- und hergerissen zwischen ständiger Versuchung und der Angst vor Gottes Zorn.
Der – wohl aus mühsamer eigener Seelenqual geborene – Gedanke Martin Luthers, das Gottes Gnade den Menschen allein durch ihren Glauben geschenkt wird, nicht durch ihr Wohlverhalten, war eine Befreiung für den sich ständig zwischen Himmel und Hölle wähnenden Menschen des 16. Jahrhunderts.
Und seine Forderungen nach Aufhebung des Zölibats und der Auflösung der Klöster waren eine Sensation und drangen natürlich auch durch die Mauern des Klosters Mariathron in Nimbsch, in dem Katharina lebte. Ostern 1523 floh sie, damals 22, beseelt von dieser Lehre und angesteckt wohl durch Ausbrüche vieler Nonnen und Mönche aus anderen Klöstern, gemeinsam mit elf Schwestern.
Eine Flucht, die schon aus heutiger Sicht mutig war, damals gingen die Nonnen ein ungeheures Wagnis ein. Für Frauen war in der mittelalterlichen Welt ein selbstständiges Leben allein nahezu ausgeschlossen. Sie konnten nur in ihrer Herkunftsfamilie, einer kirchlichen Gemeinschaft oder in einer Ehe anständig und vor allem sicher leben. Die jungen Frauen wussten also, was zu tun war: sie mussten heiraten. Das war ihnen bewusst – und das war auch nicht weiter tragisch. Man heiratete in der Vormoderne in den seltensten Fällen aus Liebe, sondern aus sozialer Notwendigkeit. John Gillis hat es in seinem Werk „Mythos Familie“ einmal schön zugespitzt formuliert: „Unsere Vorfahren wären nie auf den absurden Gedanken gekommen, etwas so Wichtiges wie Ehe und Familie auf etwas so Unzuverlässigem wie das Gefühl persönlicher Zuneigung und Liebe zu gründen.“
Dies taten auch Martin Luther und Katharina von Bora nicht. Sie trafen sich wohl zu einem Zeitpunkt, an dem für beide ein weiteres Leben ohne Ehe kaum denkbar gewesen wäre. Für ihn, den über vierzigjährigen, vor allem aus „Imagegründen“ nicht, drängten ihn seine Anhänger wohl mehr und mehr, Lehre und Lebensführung in Einklang zu bringen. Für Katharina von Bora, schlicht, um zu überleben.
Traut man den Quellen, so hatten sie immerhin Glück. Die beiden wuchsen zusammen und je länger die Ehe dauerte, um so mehr scheint Luther die Vorzüge einer solchen Gemeinschaft genossen zu haben. Zumal Katharina von Bora nicht nur eine mutige, sondern auch eine intelligente, für die damalige Zeit überaus gebildete junge Frau war, die sich schnell und geschickt um den Haushalt kümmerte.
Und das bedeutete in dieser Zeit nicht nur das Wäschewaschen, Putzen und Kochen sondern vor allem Wirtschaften. Der Herr Professor Martin Luther hatte wohl nie viele Einkünfte und weigerte sich, für Vorträge Geld zu nehmen. Für den allein lebenden Mönch kein Problem. Als Vater eines ständig wachsenden Haushaltes aber schon. Als die Familie größer wurde und Luther immer mehr Kinder, aber auch Nichten und Neffen, Anhänger und Studenten an seinen Tisch rief, musste Katharina schon schauen, woher das Essen und das Bier für den Abend kamen. Zeitweise saßen bei Luthers zwischen 35 und 50 Personen.
Katharina tat dies, liest man die Brief Luthers, ausgezeichnet. Neben dem Kümmern um ihre sechs Kinder sorgte sie dafür, dass aus dem bescheidenen Haushalt eines Mönches, der von Gelddingen nach eigener Aussage keine Ahnung hatte, ein kleines Wirtschaftsunternehmen mit Grundbesitz und Studentenzimmervermietung wurde. Und machte Luthers Haushalt zu den wohlhabendsten der Stadt. „Herr Käthe“, wie Martin Luther sie oft bewundernd nannte, war also nicht nur Ehefrau und Mutter, sondern führte dazu ein Unternehmen, dessen Zahl an Angestellten ständig wuchs.
Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Dies ist kein gelungenes Beispiel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder gar Beweis für die emanzipatorischen Bestrebungen im Hause Luthers. Diese Art der Haushaltsführung war üblich im Mittelalter: Professorenhaushalte, aber auch Kaufmanns- oder Handwerkerhaushalte wurden in der Regel so geführt – man lebte und arbeitete unter einem Dach und kannte keine strikte Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben, wie wir sie heute haben. Und auch nicht zwischen der Berufstätigkeit des Mannes und der Frau. Familie im Mittelalter bedeutete immer: „Haushalt“, also ein Leben, in dem Mutter und Vater für das Einkommen sorgen mussten, mit Knechten, Mägden, Kindern verstorbener Angehöriger und oft genug auch als „Patchwork“-Familie, wenn die erste Frau bei einer der vielen Geburten starb und sich der Hausherr eine neue Frau nahm und mit ihr neue Kinder zeugte.
Seine „Käthe“ achtete und liebte Luther, liest man Briefe und Reden aus dieser Zeit, mehr und mehr – und lernte durch sie und ihre gemeinsamen Kinder den Unterschied zwischen Theorie und Praxis kennen. Seine von mir am Anfang meiner Rede zitierten harschen Worte von dem Tod der Frau im Kindsbett als etwas von der Natur gewolltem klangen 15 Jahre später, nach der Geburt der eigenen Kinder und der Sorge um seine eigene Frau, völlig anders. „Ach, es muss wehtun, wenn Eheleute, die sich lieb haben, so geschieden werden.“ Und: „Ein Trost des Martin Luther für die Weibern/welchen es ungerat gegangen ist mit Kinder geberen“.
Im Bezug auf den Titel dieser Veranstaltung möchte ich zum Ende meines Vortrages nun fragen: Haben da etwas weibliche Werte gewirkt? Der Einfluss Katharina von Boras auf den als oft depressiv und aufbrausend beschriebenen Reformator ist unbestritten. Aber sind es die so viel beschworenen weiblichen Tugenden, die aus dem Einzelgänger und Intellektuellen einen liebenden und mitfühlenden Ehemann und Vater gemacht haben? Und welche Werte und Tugenden sollten es dann sein?
Weiblichkeit wurde – wie ich oben schon angedeutet haben – zu Zeiten der Luthers sehr zwiespältig bewertet. Geprägt durch die kirchliche Auslegung war das Weib im ausgehenden Mittelalter einerseits die ewige Versuchung, die „Pforte zur Hölle“, geschätzt vor allem in Gestalt der keuschen Nonne. Andererseits aber auch gelehrtes Edelfräulein auf den Burgen, Verwalterin des ehelichen „Haushaltes“, Regentin in Abwesenheit ihres herrschenden Mannes und zeitweise sogar selbstständige Handwerkerin in den Städten.
Die Suche nach dem Wesen, dem Wert des Weiblichen oder Männlichen war also damals genau so schwierig wie heute – und ist meiner Meinung nach aus feministischer Sicht sogar gefährlich. Hat sie doch etwas Beschränkendes, Einengendes – und ist ohne Zweifel auch immer dem Zeitgeist unterworfen. Im Licht der aktuellen Genderdebatte, die die Trennung der Menschen in nur zwei Geschlechter vollkommen in Frage stellt, erscheint die Suche nach dem Männlichen oder Weiblichen Wert nicht zukunftsorientiert, sondern rückwärts gewandt.
Natürlich hat Katharina von Bora Martin Luther geprägt, so, wie Menschen Menschen prägen, wenn sie mit ihnen eng zusammen leben. Diese Erfahrung des engen Zusammenlebens, der körperlichen Liebe und der Liebe zu den eigenen Kindern, die Luther erst in der Mitte seines Lebens erfuhr, wird ihn tief berührt haben. Und ebenso das tiefe Verständnis einer ehemaligen Nonne für einen ehemaligen Mönch, die beide das Gelübde ewiger Keuschheit abgelegt hatten und nun, befreit durch das Versprechen der bedingungslosen Gnade Gottes, die Verbundenheit mit anderen Menschen Leben duften.
Ich wage also die These: Es ist die Erfahrung der Liebe, die Einfluss auf Luther nahm. Und diese Erfahrung ist nicht geschlechtsgebunden, nicht männlich oder weiblich, sie ist menschlich. Und – so sehr sich der mittelalterliche Mensch von uns heute auch unterscheidet – sie ist vollkommen zeitlos.
Da das mein Vortrag allerdings nicht ist, sondern ich eigentlich an die 10 Minuten gebunden war, die ich wohl schon überzogen habe fürchte ich, ende ich hier. Und freu mich auf spannende Gespräche. Vielen Dank

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