Ulrike Bendrath – freie Journalistin, Bremen

Bremen, 06.11.2013

Sehr geehrte Damen, liebe Frauen,
zunächst möchte ich mich bei den Organsatorinnen dieses wunderbaren Abends ganz herzlich bedanken, dass sie all dies hier möglich gemacht haben! Ich freue mich sehr, Teil davon zu sein.

Ich bin als Journalistin gefragt worden, ob ich etwas über „Religion und Gesellschaft im Spiegel der Medien“ sagen könne. Das ist ein sehr weites Feld. Deshalb greife ich mir nur ein paar Aspekte heraus. Vielleicht kann ich Ihnen ja ein paar anregende Gedanken mitgeben. Übriges hieß der Arbeitstitel „Kirche in den Medien“. Deshalb möchte ich zunächst klarstellen, dass es weder „die Kirche“ noch „die Medien“ gibt. Es gibt mindestens „evangelisch“ und „katholisch“, und es gibt die „Bild-Zeitung“, das „heute journal“ oder Radio Bremen, das ist alles sehr verschieden.

Und worüber berichten diese sehr verschiedenen Medien?
Es gibt ein paar Klassiker-Themen, mit denen die Kirchen immer wieder mediale Präsenz erreichen: Oft geht es dabei ums Geld, um Kirchensteuern, oder um einen katholischen Bischof, der recht viel Geld für seinen Bischofssitz ausgegeben hat.
Das sind alles Themen, die man sehr kritisch diskutieren muss, ganz klar. Deshalb ist es auch gut, dass ausführlich in den Medien darüber berichtet wird.
An diesem Abend unterhalten wir uns aber nicht über Geld und Macht, sondern über Identität und Toleranz.
Deshalb beschäftige ich mich beispielhaft mit einem anderen Thema bei dem es sehr stark um Identitäten geht, nämlich mit der Homosexualität. Auch das ist ein Thema, mit dem Kirchen immer wieder in den Medien vorkommen.
Lesbisch oder schwul zu leben, kann ein wichtiger Bestandteil der eigenen Identität sein. Das Problem im Zusammenhang mit Kirchen und Glauben ist, dass Homosexualität im Konflikt mit Glaubensvorstellungen stehen kann.

Homosexualität in den christlichen Kirchen…
Lange Zeit war der Umgang mit Homosexualität in den christlichen Kirchen eindeutig: Sie galt und gilt bis heute vielerorts immer noch als unmoralisch, als sündig, als menschliche Verfehlung.
Die Konsequenz: Lesbisches oder Schwules Leben durfte und darf in Kirchen nicht präsent sein.
Das kann man in verschiedenen Länder sehen: in der orthodoxen Kirche in Russland, in evangelikalen Kirchen in Uganda, in der katholischen Kirche in Nigeria oder in den USA.
Aber wir müssen gar nicht so weit weg gehen: Auch in Bremen gibt es Gemeinden, in denen Homosexuelle keine besonders gern gesehenen Gäste sind.

…und in den Medien
Lange Zeit war es für verschiedene Medien leicht, mit einer eindeutigen Haltung über das Thema „Homosexualität in der Kirche“ zu berichten. Je nach der politisch-moralischen Ausrichtung einer Zeitung befanden die Redakteure, dass die Kirchen die letzte Bastion von Moral und Ordnung seien, wenn sie homosexuelle Menschen ausschlossen.
Genauso eindeutig ging es am anderen Ende des politischen Spektrums zu: Dass die Kirchen mit ihrer Haltung gegenüber Schwulen und Lesben vor der gesellschaftlichen Realität die Augen verschließen, war dort klar.

Die Eindeutigkeit geht verloren
Nun ist in diesem Sommer in der evangelischen Kirche etwas geschehen, was für Auseinandersetzungen gesorgt hat: Die EKD hat nach ungefähr drei Jahren Bearbeitungszeit ein Papier heraus gebracht, eine so genannte „Orientierungshilfe“. In diesem Papier positioniert sich die Leitung der evangelischen Kirche gegenüber Familien auf neue Weise. Neben der „klassischen Familie“, bestehend aus Vater; Mutter und Kindern, erkennt die EKD an, dass andere Familienkonstellationen gleichwertig sind. Wichtig sei, dass auch dort Verlässlichkeit, Solidarität, Fürsorglichkeit, Fairness und Gerechtigkeit herrschen. Das schließt Patchwork-Familien ein, Alleinerziehende und auch Regenbogenfamilien. Das sind Familien mit lesbischen Müttern oder schwulen Vätern.
Die Eindeutigkeit in der Haltung der Kirchen gegenüber Homosexualität scheint verloren zu gehen:
Das können wir auch in Bremen sehr gut beobachten: Während in einer Gemeinde Frauen noch nicht einmal predigen dürfen, hat eine andere Gemeinde einen schwulen Pfarrer, der mit seinem Partner im Pfarrhaus lebt.
Es ist ja nicht so, dass Menschen ENTWEDER homosexuell sind ODER christlich. Viele Schwule und Lesben versuchen beide Aspekte ihrer Identität zusammen zu bringen und als schwule bzw. lesbische Christinnen in ihrer Kirche eine Heimat zu finden.
Weitere deutliche Hinweise auf die neue Uneindeutigkeit der Kirchen liefert Papst Franziskus: Man denke nur an seine sehr zurückhaltenden Äußerungen, gegenüber Schwulen und Lesben. Er nennt Schwule seine „Brüder“, maßt sich kein Urteil über sie an und spricht davon, dass es drängendere Probleme in der Kirche gebe.

Die Uneindeutigkeit in den Medien
Nun sind die Medien gefordert, mit dieser Uneindeutigkeit umzugehen. Das fällt erwartungsgemäß recht unterschiedlich aus. Kaum ein Medium kann es schaffen, neutral zu berichten. Schließlich liegen jedem Artikel die eigenen Wertvorstellungen der Autorinnen und Autoren zugrunde. Ich habe mir mal ein paar Beispiele angesehen:
Die Wochenzeitung DIE ZEIT stimmt einen freundlichen Grundtenor gegenüber der Orientierungshilfe der EKD an.
Die Süddeutsche Zeitung bemüht sich um eine halbwegs ausgewogene Berichterstattung.
Das schwul-lesbische Online-Magazin Queer.de berichtet vielfältig. Nach wie vor finden dort kritische Berichte über konservative Äußerungen verschiedener Bischöfe ihren Platz. Aber mindestens genauso viel Platz nimmt bei Queer.de die Berichterstattung über die verschiedenen Äußerungen von Papst Franziskus ein.
Die „taz“ freut sich über den Streit um die „Orientierungshilfe“. Der Autor Jan Feddersen tut das allerdings nicht aus Häme. Vielmehr ist er froh darüber, dass vermutlich vorhandene Ressentiments gegengenüber der Homo-Ehe offen benannt werden. Das ist ihm lieber, als diese Vorbehalte unter einer „miefigen Decke der politischen Korrektheit“ zu verstecken.
Der FAZ-Autor Reinhard Bingener tut sich schwer mit dem Familien-Papier der EKD. Er findet, dass die evangelische Kirche den Eindruck vermittelt, „schlampig mit ihrer religiösen Substanz umzugehen“ und attestiert „offenkundige Mängel“, die das Papier habe. Ich will das inhaltlich überhaupt nicht bewerten.
Die Massivität jedoch, mit der der Autor gegen die Orientierungshilfe schreibt, erweckt bei mir den Eindruck, dass er eine große Sehnsucht danach hat, dass seine Kirche eine eindeutige und unveränderliche Position behält.
Was geschieht hier? Wird hier quasi „von außen“, in diesem Fall durch den FAZ-Autoren, konstruiert, was von „der Kirche“ erwartet wird? Nämlich dass sie der „Ort des Konservativen“ ist und bleiben soll?

Sehnsucht nach Eindeutigkeit
Das Bedürfnis nach Klarheit und Eindeutigkeit, nach „klarer“ Identität, sowohl bei Gläubigen und Kirchenangehörigen, als auch bei Medien ist groß: bei dem FAZ-Journalisten genauso, wie bei den Leserinnen und Lesern des Online-Magazins Queer.de. Einige von ihnen schätzen in ihren Kommentaren die behutsame Zuwendung durch Papst Franziskus sehr gering. Oder sie lehnen sie heftig ab.
In dieser klaren „Frontenbildung“ sind sich dann beide Seiten übrigens wieder einig.

Was mache ich jetzt mit dieser Bestandsaufnahme?
Ich habe gerade gesagt, dass die Sehnsucht nach Eindeutigkeit groß ist. Eindeutigkeit bedeutet auch, sich von anderen unterscheiden zu können. Und sich darüber zu identifizieren.
Eindeutigkeit braucht also als Voraussetzung die Vielfalt und die Verschiedenheit.
Diese Verschiedenheit voneinander bedeutet, dass wir unsere Mitmenschen unterscheiden können, sie als einzigartige Persönlichkeiten identifizieren können. Und damit sind wir wieder bei der Identität, die nur möglich ist durch Verschiedenheit.
Verschiedenheit wiederum braucht Toleranz, auch ein Thema dieses Abends. Denn nur wenn ich darauf bauen kann, dass ich mit meinem So- oder Anders-Sein toleriert werde, traue ich mich ja überhaupt, zu sein, wie ich bin. Ich muss dafür nicht geliebt werden. Aber mein So-Sein, meine Identität, muss toleriert werden. Das für mich schrecklichste denkbare Gegenbeispiel ist die Gleichschaltung im Nationalsozialismus.
Wenn ich nun Toleranz einfordere, bedeutet das umgekehrt auch, dass ich Menschen in einem Glauben toleriere, den ich so vielleicht nicht teile.
Ich knüpfe meine Toleranz allerdings an eine zentrale Bedingung: dass ich mit meiner Identität als lesbisch lebende Frau, gleichermaßen und auf Augenhöhe toleriert werde. Die Grenze meiner Duldsamkeit ist dort erreicht, wo diejenigen, die ich toleriere, meine Identität nicht gelten lassen. Mir im schlimmsten Fall meine Menschenrechte, mein Existenzrecht absprechen. Das ist derzeit in Russland ein großes Thema, hier in Bremen gottseidank so nicht.
In Anlehnung an Rosa Luxemburgs „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ möchte ich ergänzen: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersfühlenden, der Andersglaubenden und der Andersliebenden.“
Abschließend will ich zwei Wünsche formulieren:
Da es hier ja um Medien ging, wünsche ich mir mehr Medien, die wieder den Mut haben, vermeintliche Eindeutigkeiten in Frage zu stellen.
Und ich möchte uns alle dazu anregen, beispielsweise mal eine ganz andere Zeitung zu lesen, als die übliche, mal ein anderes Radio- oder Fernsehprogramm einzuschalten. Und dann heißt es: gut zuhören! Es gibt so viele verschiedenen Perspektiven auf die Dinge. Man muss sie nicht alle mögen, aber hören sollte man sie wenigstens.
Verschiedenheit und Uneindeutigkeit sind nicht leicht auszuhalten, das ist mir klar. Ich wünsche uns allen, dass wir sie immer wieder als Anregung annehmen können. Verschiedenheit ist kein Angriff auf die eigene Identität. Lassen sie uns das nicht vergessen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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