Ulrike Gebhard – Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Lindenthal

Köln, 20.11.2011

Ewigkeitssonntag, – so nennen wir den letzten Sonntag des
Kirchenjahres, den Sonntag vor dem 1.Advent. Ganz so weit möchte ich mit Ihnen
nicht nach vorne schauen, aber doch 40 Jahre. Das ist eine biblische Zahl. Nach
40 Jahren ist eine neue Generation herangewachsen. Und ich stelle mir keck vor,
dass ich dann auch noch lebe, – natürlich hoch betagt.

Eine junge Kollegin lädt mich ein zu einem Gespräch mit
Jugendlichen. Sie haben sich mit Menschen der Reformationszeit beschäftigt, zum
Beispiel mit Argula von Grumbach. Sie bekam als 10-jährige eine Bibel in
deutscher Übersetzung von ihrem Vater geschenkt. Und in der Bibel lesen kann
bekanntlich gefährlich sein. Die erwachsene Argula schreibt Briefe an die
Obrigkeiten, um für verfolgte Anhänger der Reformation zu bitten. Antwort
bekommt sie nicht. Einer Frau antwortet man nicht. Stattdessen wird sie
öffentlich verspottet und ihre Familie in den Ruin getrieben.

Doch Menschen geben Abschriften ihrer Briefe weiter,
immer mehr Menschen lesen Argulas Briefe. Eine Frau hat so viel Mut?

Nun soll ich berichten von den Umbrüchen vergangener
Jahrzehnte.

Als ich junge Pfarrerin war, waren weltweit in nur
wenigen Kirchen Frauen zum Pfarramt zugelassen. Doch schon um die
Jahrtausendwende hatten nur ganz wenige evangelische Kirchen in der Welt die
Frauenordination noch nicht eingeführt. Das war eine große Erfolgsgeschichte,
die die Kirche verändert hat. Aber es reichte uns noch nicht! Denn irgendwann
wurde es uns Frauen unterschiedlichster Konfessionen klar: wenn wir nicht
anfangen, Kirche von morgen zu bauen, wer dann? Natürlich haben nicht alle
Frauen mitgemacht. Viele hatten auch Angst. Und immer mehr Männer kamen auch
dazu. Vernetzungen statt wenig durchlässiger Hierarchien, Beteiligung möglichst
vieler, keine falsche Ehrfurcht vor Kirchenleitungen und sich zugleich
verantwortlich wissen für das Ganze. Es war wie ein Erdrutsch, als hätten
Menschen danach gehungert, als Töchter und Söhne Gottes auf Augenhöhe Kirche zu
gestalten.

Ach ja, und welche Kämpfe gab es um Bibelübersetzungen.
Weibliche Gottesbilder – das schien einigen der Untergang der gesamten
Zivilisation.

Jetzt kommt Leben in die Jugendgruppe. So viel
Rückständigkeit finden sie witzig. Ein Junge fragt: „Solche Leute kannten Sie
noch, die Gott für einen Mann hielten?“

Allgemeines Gekicher… „Die haben wohl die Bibel nicht
gelesen,“ wirft ein Mädchen ein. „Gott schuf Menschen zu seinem Bilde, als
Mann und Frau schuf sie sie.“

Wir sind einen weiten Weg gegangen. Aber ich kann mich
noch gut erinnern, wie viele Aggressionen uns entgegenschlugen, als wir auch in
weiblichen Bildern von Gott zu reden begannen.

Die junge Kollegin merkt, dass bei ihren Jugendlichen und
ihrem betagten Gast die Konzentration nachlässt. Ein andermal mehr? Sie bemüht
sich höflich um einen guten Schluss. „Was würden Sie aufgrund Ihrer
Lebenserfahrung den Jugendlichen mitgeben wollen?“

Die Bibel lesen, am besten mit anderen zusammen und in
unterschiedlichen Übersetzungen. Sich die eigenen Hoffnungen nicht klein reden
lassen.

„Das wird nichts. Und wenn überhaupt, dann erlebst Du das
nicht mehr…“

Sich nicht fürchten. Und weitergehen, unbedingt
weitergehen.

Die Jugendlichen nicken mir freundlich zu und stecken
dann ihre Köpfe zusammen. Was machen sie da nur wieder? Was haben sie da nur?
Ich muss mal meine

Großnichte fragen. Die junge Kollegin holt meine
raffinierte Gehhilfe, legt einen Blumenstrauß darauf, – manches ändert sich
doch nicht, und öffnet mir freundlich die

Tür.

Und ich?

Fast möchte ich sagen: Ich kann nicht anders, Gott helfe
mir.

Ich -gehe weiter.

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