Ute Göpel – Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales/Dienst auf dem Lande der EKKW

Witzenhausen 02.06.2013

Eine Tischrede in solch festlichen Rahmen halten zu dürfen – das ist schon etwas Besonderes.

Und dann noch vor Landfrauen, ja -die allermeisten der hier anwesenden Frauen sind ja wohl „Landfrauen“.

Frauen, die in ländlichen Räumen leben.

Dazu zähle ich Gesamt Nord-Osthessen. Einzige Ausnahme: das Stadtzentrum von Kassel.

Einige von Ihnen und euch sind sicher auch in „Landfrauenvereinen“ aktiv.

Als Elisabeth Boehm vor 115 Jahren den ersten „Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein“ gründete – übrigens mit dem Ziel Bäuerinnen zu mehr Selbstbestimmung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu verhelfen-  war vieles in Dörfern und Städten sehr viel anders als heute. Frauen auf dem Land lebten und arbeiteten in aller Regel gemeinsam mit mehreren Generationen unter einem Dach. Als Bäuerinnen oder Mägden auf Höfen und Gütern oder in Handwerksbetrieben.

Festgelegte Werte, Normen und Traditionen bestimmten das Verhalten und Denken.

Mobilität war begrenzt. Man heiratete nach Stand und Hektar und blieb im Wesentlichen unter sich.

Wie anders ist das heute. Die Welt ist ein Dorf und entsprechend haben wir in jedem Dorf physisch und digital Zugang zur Welt (Orte ohne schnelle Internetverbindungen sind –zum Glück- auch im Werra-Meißner-Kreis mittlerweile die Ausnahme).

Auf dem Land leben die, deren Familien (gefühlt) schon immer dort lebten.

Und die, die sich aufgrund günstiger Grundstücks- und Immobilienpreise ihren Traum vom Eigenheim im Grünen verwirklichen.

Dann gibt es die Alternativen, die liebevoll und langanhaltend Fachwerkhäuser renovieren und Kulturcafes gründen.

Und die Zugereisten, die auswärts arbeiten, selten auftauchen und einfach ihre Ruhe haben wollen.

Und noch manche Anderen…

Das Leben auf dem Land ist vielfältig, bunt und voller Herausforderungen.

Und dann gibt es ja auch noch Städter, die mit gewisser Distanz aufs Land schauen. Zunehmend kleiden sie sich im Landhausstil, halten eine von mittlerweile rund 20 verschiedenen Hochglanzillustrierten zum Thema Landidylle in Händen und fordern eben diese Idylle auch ein.

Wenigstens hier soll die Welt überschaubar und heil sein.

Währenddessen hält die reale Landflucht an und Dörfer überaltern.

Genauso ist es – und im Einzelfall dann auch wieder ganz anders… na klar. Ich überzeichne um Tendenzen deutlich zu machen.

Fakt ist: Lebensentwürfe auf dem Land – und auch die Vorstellungen wie ländliche Räume zu sein und was sie zu leisten haben – sind: vielfältig, manchmal auch gegensätzlich und stecken entsprechend voller Herausforderungen.

Da stellt sich die Frage:

Wie umgehen mit diesen Herausforderungen?

Mit Unterschieden, die manchmal zum Konflikt werden?

Ist hier Toleranz das Zauberwort?

Die Haltung, die Vielfalt in bunten Farben malt?

Die divergierende Interessen zusammenbringt?

Ich will mich über drei Beispiele aus meinen beruflichen wie persönlichen Erleben nähern.

1. Gärten

Vielfältige Gewächse, einige davon von manchen als Unkraut bezeichnet, verschönern den einen Vorgarten. Auch prächtige dunkellila Distelblüten sind dazwischen. Aus allen Ritzen zwischen dem Pflaster drängt sich frisches Grün.

Der Hof gegenüber ist umgeben von gepflegten Rabatten: Rosenstäucher duften neben Lavendel umgeben von einer akkurat geschnittenen Ligusterhecke.

Zwei mögliche Reaktionen:

„Das ist mir doch egal wie die Gärten aussehen. Das soll jede und jeder machen wie sie und er will.“

Toleranz?

Ich empfinde diese Haltung eher als Gleichgültigkeit und die unterscheidet sich meines Erachtens deutlich von Toleranz.

Aber auch diese Reaktion ist vorstellbar:

ein kurzes Innehalten, genaues Hinsehen und die lächelnde Wahrnehmung: ach, so schön ist eine Distelblüte oder auch: wie viel Arbeit und Liebe steckt wohl in der Anlage einer solchen Rosenrabatte.

Das eine ist mir fremd, das andere vertraut…ach so kann es auch sein… ist ja interessant…Bewertungen in der Schwebe halten, sich an der Vielfalt des Möglichen freuen.

Vielfalt wollen reicht für mich weiter als Toleranz üben.

Den eigenen Blick weiten. In Dialog treten.

Oft gibt es kein „Richtig oder Falsch“.

Gleichwohl gibt es unterschiedliche Traditionen und Zugänge. Es ist hilfreich sie zu kennen und zu achten.

2. Beispiel: Wege

Ein Sommerabend: Radfahrerinnen und Jogger genießen ihren Feierabend. Schlepper mit Anhänger holen das Getreide von den Feldern.(oder das Gras, die Zuckerrüben, bringen Dünger oder Mist aus…)  .

Erholungs- und Arbeitsinteressen konkurrieren um schmale Wege.

Hier fördert Perspektivwechsel Toleranz.

Die Joggerin, die (mindestens gedanklich, besser ganz praktisch) einmal einige Meilen in den Arbeitsschuhen einer Landwirtin läuft, wird erkennen, dass schweres landwirtschaftliches Gerät nicht ohne hohes Risiko ausweichen kann. Sie wird erfahren unter welch großem Zeit- und Arbeitsdruck diese – für sie so lästigen- Schlepperfahrerinnen oft unterwegs sind.

Und Landwirte bekommen im Gespräch eine Idee davon wie wichtig Bewegung nach einem langen Sitzungstag sein kann.

Gegenseitig werden die je eigenen Belastungen und Freuden nachvollziehbarer.

Es hilft Distanz zum Eigenen zu gewinnen um so Verständnis und Duldsamkeit (so kann man Toleranz nämlich auch übersetzen) zu erlangen.

Letztes Beispiel: Landbewirtschaftung

Es gibt auch Grenzen der Toleranz.

Null-Toleranz-Grenzen, weil irreversibler Schaden zu fürchten ist.

Zum Beispiel der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen.

Die evangelische Kirche untersagt den Anbau solcher Pflanzen in ihren Pachtverträgen.

Sie stellt hier den Wert der Schöpfungsbewahrung über das Selbstbestimmungsrecht der Pächter.

Drei kleine Beispiele zwischen Vor- und Hauptspeise.

Appetizer auf ein spannendes und wichtiges Thema.

Mir ist bei der Beschäftigung mit „Toleranz und Land“ wichtig geworden:

– Die Frage nach Toleranz muss im Blick auf eine jeweils konkrete Fragestellung oder Situation gestellt und beantwortet werden.

– Toleranz ist von Gleichgültigkeit zu unterscheiden.

– Es besteht die Gefahr sie als Weichspüler und Kuschelbegriff zu missbrauchen.

– Konstruktive Toleranz beinhaltet eigene Werte zu klären und auch für sie einzutreten. Toleranz beinhaltet auch Kritik zu üben, sich der Intoleranz verdächtig zu machen. Ja, Intolerant zu sein. Über manche Themen braucht es fairen Streit.

– Es gilt zu unterscheiden zwischen einer Handlung, die ich nicht toleriere und dem Menschen, der diese Handlung ausführt und den ich deswegen noch lange nicht als Menschen ablehne.

– Toleranz ist dialogisch. Sie lernt und lehrt.

– Oft sind Kategorien von Richtig und Falsch nicht dienlich.

– Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und Interesse am Anderen sind Voraussetzung für Toleranz und eröffnet neue Horizonte.

So entwickelte Toleranz trägt dazu bei,

dass ländliche Räume ihren wichtigen Aufgaben gerecht werden

und dass das Leben in Stadt und Land beglückend vielfältig, bunt und spannend ist.

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