„Viele Frauen wenden sich von der verfassten Kirche ab“

EFiD-Geschäftsführerin Eske Wollrad über feministische Lobbyarbeit, gemeinsame Spiritualität und die Notwendigkeit, Veränderungsprozesse mitzugestalten. | Interview: Anne Lemhöfer

Liebe Frau Wollrad, oft heißt es, die Zeit der großen Verbände gehe langsam vorbei – wenn das so ist, wozu brauchen wir eigentlich noch EFiD?

Ich möchte dieser These ganz entschieden widersprechen. Wir als Dachverband für 35 teils sehr unterschiedliche Mitgliedsorganisationen können einfach einen Blick über den Tellerrand garantieren, den Frauen in ihrer Gemeinde oder auch in ihrer Landeskirche nicht unbedingt finden. Es gibt derzeit so viele Herausforderungen, dass viele sich einfach einigen und den Mut verlieren. Dabei ist es so wichtig, den Blick schnell wieder zu heben und sich zu vernetzen. Wir als Evangelische Frauen in Deutschland greifen nicht nur Impulse auf, wir setzen vor allem selbst welche. Wir sind ein Safe Space für Debatten, auch für so kontroverse wie etwa der Umgang mit Prostitution und dem Nordischen Modell. Auch bei der Diskussion darüber, den Paragrafen 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, waren wir als EFiD ganz vorne dabei.

Also reicht es nicht, dass seit den 1970er Jahren immer mehr Plattformen für Frauen in der Kirche entstehen?

Nein, das reicht offensichtlich nicht. Ich kenne sehr viele Frauen, die die verfasste Kirche längst verlassen haben, weil sie sich einfach nicht gesehen fühlen in den Gemeinden. Eins der Probleme ist auch, dass Kirche oft bestimmte Lebensformen in den Mittelpunkt rückt – etwa die Ehe und die Familie. Singles kommen zum Beispiel überhaupt gar nicht vor. Auch Kinderlose fühlen sich häufig nicht gesehen. Wir von EFiD haben etwa eine Fachkonferenz zum Thema Singles organisiert, um das Alleinleben als eine Lebensform in den Blick zu rücken, die Respekt verdient. Wir denken immer alle möglichen Lebens- und Familienformen mit. Wir haben da als Verband eine Scout-Funktion. Wir gehen voran und nehmen andere mit.

Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für die queere Community, obwohl da ja die Offenheit steigt in manchen Landeskirchen…

Genau. Ganz wichtig war unsere Arbeit bei EFiD etwa bei der Abschaffung des Transsexuellengesetzes, das im Jahr 2024 durch das Selbstbestimmungsgesetz abgelöst wurde. Da haben wir im Vorfeld intensive Lobbyarbeit betrieben. Wir wurden als Expertinnen geholt und haben viel Respekt und Wertschätzung erlebt. Die Frauen in unseren Mitgliedsorganisationen wissen, dass sie bei uns Rückendeckung auch bei stark umstrittenen Themen finden, bei denen ihnen vonz Seiten ihrer Kirchenleitung eher Feindseligkeit entgegenschlägt. Bei Pressekonferenzen wurden wir als Evangelische Frauen oft nach vorne geschoben – und das, obwohl Frauen es ja eher gewohnt sind, in kirchlichen Kontexten hinten zu stehen. Frauen haben vielerorts immer noch keine Lobby. Wir wollen, dass sie bei uns wissen: Das ist unser Ort!

Die Kirche verändert sich derzeit stark, allein schon deshalb, weil die Mitgliederzahlen sinken, Gemeinden zusammengelegt werden, vieles gebündelt und zentralisiert wird. Würden Sie da von einem klassischen Change-Prozess sprechen?

Ja, das ist ein Change-Prozess, und was für einer. Alle haben sich aufgemacht zu Transformationen, die ans Grundsätzliche gehen. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, denn dort, wo etwas verändert wird, kann man mitgestalten, und das müssen wir unbedingt tun. „Change by design, not by desaster“ heißt es in diesem Zusammenhang ja oft. Übersetzt könnte man sagen: Veränderung muss gestaltet werden, damit man nicht in eine Art standardisierte Voreinstellung rutscht. Das Schlimmste ist, wenn man sich bei solchen Prozessen totstellt und gar nichts tut. Das klappt aber nur, wenn Veränderungen nicht aufgrund von ökonomischen Zwängen vorangetrieben werden, wenn es in der Kirchenleitung dann etwa heißt: „Ab dem Jahr soundso machen wir einen Doppelhaushalt“. Dann übernimmt die Verwaltung, das weiß man aus der Organisationsentwicklung. Das ist aber keine Vision! Ein Volk ohne Vision aber geht zugrunde, sagte schon Salomon.

Und in solche Prozesse wollen Sie sich auch mit EFiD einklinken?

Natürlich. Wir müssen wieder das Umparken im Kopf lernen, unsere Haltung ändern. Wir haben ja schon große Visionen bei uns: Wir sind queerfreundlich, armutssensibel, und rassismuskritisch, dazu denken wir die Ost-West-Ebene immer mit. Unsere Basis ist dabei eine gemeinsame Spiritualität der Verbundenheit. Das ist unser Kompass, unsere DNA, wenn man so will. Wir haben einen langen Weg vor uns, wissen aber, wohin er führen soll.

Was wäre denn eines der großen Ziele?

Wir sind schon weggekommen von binären Geschlechtermodellen. Es gibt nicht nur zwei Geschlechter. Punkt. Nicht binäre Personen gehören zu uns. Die Haltung ist da, der Kompass auch, und natürlich gehört dazu auch eine gewisse Fehlertoleranz, denn niemand ist perfekt. Ich finde es aber auch falsch, immer nur zu fragen: Wie kriegen wir junge Feministinnen dazu, bei uns mitzuarbeiten? Unsere alten Damen sind großartig, das sind echte Aktivistinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung. Wir haben auch erstmals eine queere Person an der Spitze eines kirchlichen Landesverbands. Um nochmal zu der Frage zurückzukommen, ob man uns braucht: Ja, wir werden gebraucht, wenn wir uns überzeugend präsentieren.

Sind Sie manchmal ein bisschen stolz, wenn Sie auf EFiD schauen?

Ich bin sehr stolz! Manchmal kann ich es selbst nicht glauben, wenn ich darüber nachdenke, was wir in den vergangenen fünf Jahren alles angestoßen haben. Da denke ich einfach nur: Wow!

Eske Wollrad ist Theologin und Geschäftsführerin von EFiD. | Foto: Antje Schrupp