Vroni Peterhans–Suter – Verbandsvorstand SKF, Bäuerin in integrierter Produktion

Lenzburg, 16.08 2013

Spiritualität und Landwirtschaft

„Wer Rüben will recht gut und zart, säe sie an Maria Himmelfahrt“- mit dieser Bauernregel , die sich auf den gestrigen 15.August bezieht, hole ich euch vom Essen ab mitten ins Thema Landwirtschaft und Spiritualität. Mein heutiger Tag ist auch geprägt von beidem: am Morgen habe ich Schulklassen durch die landwirtschaftliche Ausstellung ALA geführt und ihnen den Wert und die Vielfalt unserer Lebensmittel-produktion näher gebracht. Wir haben fünffingrige Rüebli ausgegraben und über rote, blaue und gelbe Kartoffeln gestaunt! Und jetzt bin ich hier beim Frauenmahl beim spirituellen Teil!

Die Produktion von Lebensmitteln, also von dem, was wir heute hier miteinander als Frauenmahl geniessen, prägt seit meiner Geburt auch mein Leben. Geboren in sehr einfache bäuerliche Verhältnisse war mein Leben geprägt vom Rhythmus des Säens und Erntens, vom Verhalten des Wetters und dem Kreislauf der Natur.

         Ist die Lebensmittelproduktion von Spiritualität geprägt? Sie war auf jeden Fall und ist  zum Teil noch von viel religiösem Brauchtum begleitet. Da denke ich besonders an das Weihwassersprengen bei starken Gewittern zum Schutz vor Blitzschlag. Ich denke auch an den Glauben, dass gesegnetes Agathabrot, sowie Palmsträusse und Osternachtfeuerholzscheite vor Feuersbrunst und andern Katastrophen schützen können. Auch war und ist es zum Teil üblich, so wie ein Wohnhaus auch den neuen Stall einzusegnen und Räume gegen Krankheiten und böse Geister auszuräuchern. All diese Bräuche können als Aberglauben abgetan werden, aber ich bin überzeugt und kann es aus eigener Erfahrung selber bestätigen, dahinter steht ein vertrauender Glaube, ein Wissen darum, dass nicht alles in unserer Macht steht, dass schlussendlich alles Werden, Gedeihen und Vergehen in der Hand einer anderen Energie, einer höheren Macht , in der Hand Gottes liegt. Aber auch – und das finde ich an diesen Praktiken so spannend – die Überzeugung dahinter, dass wir nicht machtlos – die Hände im Schoss – das Schicksal über uns ziehen lassen müssen, sondern es mitbestimmen können – halt mit speziellen Riten – wir würden dem heute eher „positives Denken“ sagen. Geblieben sind uns von diesen religiösen Praktiken zum Beispiel der Wettersegen, der vom Fest des Heiligen Markus am 24. April bis Kreuz-Erhöhung am 14.September in katholischen Gottesdiensten gespendet wird. Dieser zeigt mir jedes Mal die Verbundenheit von Spiritualität und Schöpfung auf. Wenn  uns allen dieser Zusammenhang wieder vermehrt bewusst wird, würde es unserer Umwelt ein klein wenig besser gehen, oder wir bekommen die Kraft uns für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.

          Aber kommen wir wieder zurück zum Essen, das wir heute gemeinsam feiern. Jesus teilte mit seinen Freundinnen und Freunden Brot, Brot das noch viele vor dem Anschneiden mit einem Kreuz darauf segnen und damit auch Danke sagen fürs tägliche Brot. Ja danken fürs Essen lernen viele Landwirtschaftslehrlinge wieder, wenn sie für ein Jahr unsere Arbeit, unsere Familie und unser Tischgebet oder Tischlied teilen. Auch der Erntedankgottesdienst oder der Alpsegen öffnet uns allen jeweils Augen und Herz dass wir nicht alle Gaben und Güter selbstverständlich zur Verfügung haben. Auch die Bittgänge vielerorts sind aus diesem Glauben heraus entstanden. Entstehungsgründe dafür waren oft Bitte oder Dank um Verschonung von Seuchen oder Unwetter. Das Unterwegssein in freier Natur mit offenem Herz für Gott erlebt ja eine Renaissance im Pilgern und Wallfahren vieler, die in ihrem Alltag eventuell der Natur nicht mehr so ausgesetzt sind und sich darum in einer Auszeit diese Möglichkeit schaffen, die wir Bäuerinnen durch die tägliche Arbeit erleben. Vielleicht haben sich religiöse Bräuche in der Landwirtschaft erhalten können, weil viele biblische Geschichten, Erzählungen und Gleichnisse mitten aus dem Leben jener Zeit immer noch jenem Bevölkerungsteil sehr nahe kommen, die auch heute noch mit der Schöpfung arbeiten.

             Ein etwa 2500 Jahre alter Psalmtext  kann meine Stimmung ausdrücken, wenn ich frühmorgens die Tiere füttere, die Natur am Erwachen ist und ich übers Feld  schaue, die Weite auf mich wirken lasse:

„Du Gott lässt die Quellen hervorsprudeln in den Tälern, sie eilen zwischen den Bergen dahin. Allen Tieren des Feldes spenden sie Trank, die Wildesel stillen ihren Durst daraus. An den Ufern wohnen die Vögel des Himmels, aus den Zweigen erklingt ihr Gesang. Du tränkst die Berge aus deinen Kammern, aus deinen Wolken wird die Erde satt. Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, damit sein Gesicht von Öl erglänzt und Brot das Menschenherz stärkt“. Wenn ich eure Gesichter anschaue, dann glänzen sie, ob vom Öl wie im Psalm 104 oder wegen dem feinen Brot und Wein, der uns erfreut. So aktuell ist der Text, nur die Wildesel, die gibt’s nicht bei uns, manchmal einfach andere.

          Zurück zu meinen spirituellen Erfahrungen mit der Landwirtschaft. War das Verhalten meines Vaters wohl auch von tiefem Glauben geprägt, wenn er bei jedem Wegkreuz seinen Hut lüftete aus Ehrerbietung Gott gegenüber oder eben mit einer inneren Überzeugung, dass sein Arbeiten und Sein geprägt war von einer Verbundenheit des Alltags mit etwas Höherem? Auf jeden Fall wuchs in mir als kleines Mädchen der Wunsch, wenn ich dann mal gross wäre, möchte ich auch so mit dem Traktor durch die Gegend fahren und majestätisch den Hut ziehen – zum Hut brachte ich es bis heute nicht, aber das Grundvertrauen dahinter hat mich wohl bis heute geprägt.

     „Du sollst da blühen, wo Gott dich hin gesät hat“ dieses afrikanische Sprichwort sagt uns Menschen fast mehr als den Pflanzen. Vieles können wir von der Natur lernen, wie zum Beispiel Geduld beim Wachsen lassen der Pflanzen, der Kinder, der Mitmenschen. Die Symbolhaftigkeit schätze ich sehr an meinem Beruf als Bäuerin. Wir können uns aber auch fragen, warum ich, warum gerade wurde meine Saat auf diesen Boden ausgestreut? Und ich erhalte darauf keine befriedigende Antwort. Aber das zitierte Sprichwort hilft mir eventuell trotz nicht erwünschter Voraussetzungen aufzublühen. Das Sprichwort gewinnt an Brisanz, wenn ich mit meinen afrikanischen Kolleginnen diskutiere, mit denen ich drei Jahre lang zusammen arbeitete. Warum leben sie dort in diesen Verhältnissen und ich hier? Die Ernährung hängt dort oft vom zähen Einsatz der Frauen ab. Genug zu Essen haben heisst nicht Geld aus dem Bankomaten herauszulassen und im Laden sich für eine der fünf Joghurtsorten zu entscheiden, nein, das heisst Tag für Tag die Lebensmittel auf seinen Feldern zu produzieren, jedem Wetter, Pflanzenkrankheiten und Schädlingen ausgeliefert. Wenn’s  gut geht etwas Überschuss ernten und verkaufen zu können, damit andere Familienkosten gedeckt werden können wie Kleider, Schulgeld oder anderes. Dies wird auf dem örtlichen Markt erwirtschaftet oder dem Grosshändler zu Weltmarktpreisen verkauft – und da wissen wir alle, dass diese Preise nicht zugunsten der Produzentinnen ausfallen. Vor allem nicht, wenn das Produkt zu den Lebensmitteln gehört, die spekuliert werden. Das heisst mit Lebensmitteln wird an der Börse gehandelt wie mit andern Dingen und Geld. rücksichtslos ob Produzenten mit ihren Abnahmepreisen verarmen oder die Verkaufspreise horrend in die Höhe schnellen, so dass sie unerschwinglich für Hungernde werden.  Oft sind es die Frauen, die sich um die Ernährung der Familie kümmern, darum treffen diese Spekulationen besonders auch Frauen, da ist unsere Frauensolidarität gefragt. Wir können uns einsetzen, dass menschenwürdige Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit wir weiterhin unsern Auftrag in der Schöpfungsgeschichte erfüllen: Bebaut, pflegt, bewahrt und schont die Erde. Was aber meine afrikanischen Frauen am Wenigsten möchten, dass ihr euch die Freude am Essen verderben lasst, sie feiern trotz oft schwerem Los die Feste wie sie fallen, und wir haben heute das Frauenkirchenfest!

                   Mit einem Gedicht von Elizabeth Barret  führe ich uns wieder zu unserer Landwirtschaft und Spiritualität zurück:

Die Erde ist mit Himmel vollgepackt  und jeder gewöhnliche Busch brennt mit Gott. Aber nur der es sieht, zieht seine Schuhe aus. Die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren (Elizabeth Barrett-Browning (1806-1861)

Wir können einfach Brombeeren pflücken oder auch Gottes Gegenwart im Brombeerbusch erahnen!

             Auch immer beinahe heilige Momente erlebe ich, wenn ich mit den Erstkommunikanten jeweils im November die Weizenkörner in die Erde lege, wir zusammen ein Segensgebet sprechen oder wenn ich am Ährenfeld stehe und sich die Halme im Winde wogen oder wenn die Schüler im Sommer ehrfurchtsvoll ihre Ähren schneiden und staunen, was aus einem einzigen Korn gewachsen ist! Ernten ist jedes Mal mit innerer Dankbarkeit erfüllt, sei es Getreide dreschen, das Stroh kurz vor dem Gewitter unters Dach bringen und den feinen Duft des Regens auf heisser Erde einatmen, Früchte ernten, die aus der Frühlingsblütenpracht dank der Befruchtung durch emsige Insekten heranreifen konnten – ja da spüren wir  Dankbarkeit über das Gelungene und zeigen das vielleicht mit einem Heukreuz, das heisst wir legen  mit dem letzten Rechenzug ein Kreuz auf die geerntete Heuwiese um das Feld zu segnen und um den Tieren etwas zu hinterlassen. Aber manchmal oder sehr oft gehen in der Hektik und unter dem Druck der Lebensmittelproduktion diese besonderen Momente verloren. Vielleicht können wir sie wieder wecken zum Beispiel durch die Schöpfungszeit, die vielerorts begangen wird vom 1.September, dem orthodoxen Schöpfungstag an bis zum 4. Oktober dem Festtag des Friedens-und Umweltheiligen Franz von Assisi.

              „Wenn eine alleine träumt ist es nur ein Traum, wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ Ich glaube, dass es nicht mehr genügt, wenn nur ich oder nur du von einer schöpfungsgerechten Landwirtschaft träumen, sondern es wäre wunderbar, wenn auch alle  Bäuerinnen und Konsumentinnen mitträumen würden. Zu einem solchen Traumtag lädt der schweizerische Katholische Frauenbund am 28. September nach Basel ein unter dem Motto „Erde wohin“. Flyer liegen auf.

              Mir gefällt ein Bild aus einem Wort zum Sonntag: Dieser Salatkopf könnte unser Vorbild sein, er hat das Herz im Kopf! Er will uns zeigen, dass unser Verstand aufs Herz hören soll und die Liebe unser Denken beeinflussen sollte. So wäre unser Handeln gegenüber der gesamten Schöpfung, also den Pflanzen, Tieren und Menschen, geprägt vom Zusammenspiel von Emotionen und Intellekt, ein dynamisches Gleichgewicht von Kopf und Herz wie beim Salat – vielleicht erinnern wir  uns in Zukunft beim  Salatessen daran, besonders wenn wir das Salatherz bekommen!

„Wenn Sankt Rochus trübe schaut, kommen die Raupen in das Kraut“, diese Bauernregel zum heutigen Tag leitet uns auf ein neues Thema: was tun wir mit Kleingetier in Haus und Feld, die uns als Schädlinge bekannt sind? Sowohl privat wie auch in der Landwirtschaft haben wir da Vorreiterinnen in biologischer Schädlingsbekämpfung und können uns alle selber an der Nase nehmen, wenn wir Viecher als Schädlinge ausrotten und später merken, was wir damit angerichtet haben. Das spüren wir zum Beispiel zur Zeit deutlich mit der Problematik des Bienensterbens, das uns hoffentlich Schritte tun lässt zu einem schonenderen Umgang mit unsere Schöpfung- denn wir alle haben zusammen nur diese eine Erde!

                Dass diese Erde uns heilende Kräuter schenkt, das wertschätzen wir in den Kräutersträussen zu Maria Himmelfahrt. Schon im 10. Jahrhundert wurde dieser Brauch erwähnt, als Lobpreis Gottes für den Reichtum, den er uns in den Pflanzen schenkt, und als Bitte, die uns anvertrauten Güter zu unserm Heil zu bewahren und zu nutzen. Heilkraft und Heilung sind Zeichen der Zuwendung Gottes zu den Menschen, wie es uns auch die biblischen Heilsgeschichten zeigen. Die Kräutersegnung zeigt uns auch unser Sehnen nach Heil-Sein an Leib und Seele.

Nun aber zurück zu unserm Mahl, wo ihr nun über eure religiösen Schöpfungsbräuche und Bauernregeln austauschen könnt oder wie ihr Spiritualität im eigenen Garten erlebt und eventuell Gartenbeete im Sinne der ersten Lesung sehen.

Und halten wir es ganz nach Teresa von Avila: „Tu deinem Leib etwas Gutes damit deine Seele Lust hat darin  zu wohnen“

En Guete

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