Wanda Falk – Direktorin der Diakonie Polen

Tischrede beim Frauenmahl in Witzenhausen am 10. März 2018
Wanda Falk, Direktorin der Diakonie Polen

Ansprache anlässlich des Frauenmahls
Witzenhausen, 10. März 2018

 

Liebe Schwestern,

in der frühen Kirche gehörten gemeinsames Essen, das Teilen der Speisen, das Gespräch und das Abendmahl als Gemeinschaft der Kinder  Gottes beim gemeinsamen Essen und Trinken. Wir feiern Gemeinschaft; in der Gemeinschaft erfahren wir auch Zuwendung, die wir einander schenken. Keine Gemeinschaft ohne Zuwendung. Zuwendung ist die Frucht der Gemeinschaft.

Heute bedanke ich mich insbesondere für die gemeinsame Zeit; ich freue mich, dass wir uns gemeinsam um einen Tisch versammeln und ich an Gemeinschaft mit denjenigen, die sich für die Frauenarbeit GAW engagieren, teilhaben darf. Ich komme aus Polen. Aus einem Lande, dass seit 1989 in Freiheit lebt. Blickt man auf diesen Zeitraum zurück, so wird sichtbar, wie viel sich seither in unserem Lande verändert hat. Die Veränderungen betrafen die Bereiche Politik, Arbeitsmarkt, Schulwesen, Sozialleben und die Wahrnehmung von Frauen Männern usw. Selbstverständlich kann man sich die Frage stellen, ob wir all diese Veränderung heute noch ausreichend wertschätzen und ob wir mit unserer Geschichte, unserer Herkunft und unseren erworbenen Werte noch respektvoll umgehen. Auf der anderen Seite stellt sich aber auch die Frage, ob jedermann von dieser Freiheit in gleicher Weise profitieren kann und ob wir unsere Pläne und Träume problemlos realisieren können.

Ich zweifle nicht daran, dass mein Land sich immer weiter entwickelt. Wir werden Zeuge – u.a. im politischen und sozialen Bereich – weiterer Veränderungen. Verfolgt man die statistischen Zahlen und die Wirtschaftsberichte, so erfahren wir, dass das unser Bruttosozialprodukt wächst und die Arbeitslosigkeit abnimmt. Betrachtet man jedoch die Gesellschaft, so muss man feststellen, dass wir im wirtschaftlichen Bereich nicht immer gut dastehen, so kann man etwa die bestehenden Ungleichheiten leicht  erkennen. Obgleich die Statistiken eine Verbesserung der Lebenssituation jener Familien ausweisen, die staatliche Unterstützung aus dem ‚Programm 500 plus‘ erhalten, können wir nicht bei allen eine Chance auf eine finanzielle und berufliche Stabilisierung erkennen. Wir sind eine Gesellschaft von 38 Millionen Menschen, die mit täglichen Schwierigkeiten kämpft und sich die Frage stellt: „wie überleben?“; jeder Tag wird von der ewigen Sehnsucht nach einem glücklichen Dasein bestimmt. Auch ich stelle mir die Frage. Haben wir uns, und wenn ja, wie haben wir uns seit der Wende des Jahres 1989 verändert? 1989 als wir uns alle zusammen nach denselben Zielen gesehnt haben: Freiheit, Öffnung der Grenzen, Aufbruch in eine bessere Welt. Die Antwort darauf kann nicht ohne die Frage nach den Ursachen und Gründen gegeben werden, warum sich Polen und Polinnen auf den Weg machen, ihr Land verlassen und in Westeuropa ihr „persönliches Glücksrezept“ realisieren wollen. Wenn sie die Reise antreten, machen sie sich nicht immer Gedanken darüber, was das Glück selbst ist. Sie sind sich nicht im Klaren darüber, dass in der Frage des Glücks zwischen den Ländern Polen und Deutschland Unterschiede bestehen. In deutschen Zeitungsartikeln habe ich gelesen und in Gesprächen mit Vertretern verschiedener Organisationen habe ich gehört, dass Glück in Deutschland im weiteren Sinne als „Gemütlichkeit“ verstanden werden kann. Wohingegen viele Polen sagen, dass Glück in der Gewissheit besteht „dass es irgendwie gelingen wird, über die Runden zu kommen und, dass wir die Grundbedürfnisse unserer Familienmitglieder sichern können werden…

Seit Polen der Europäischen Union im Jahre 2004 beitrat, verließen 2,5 Millionen Polen unser Land. Manche kehrten zurück. Doch die Statistiken zeigen, dass die steigende Tendenz der Ausreisen weiter anhält. In den ersten zwölf Monaten nach dem Beitritt emigrierte allein ungefähr Million Menschen, an eine Ausreise dachte jeder Zweite unter 35. Darüber hinaus sehen Vertreter verschiedener Berufsgruppen wie Ärzte und Pflegepersonal im eigenen Lande keine Arbeitsmöglichkeiten; in jüngster Zeit wurde viel über die schwierige Lage junger Ärzte gesprochen, die hinsichtlich ihrer finanziellen Situation, ihrer Arbeitszeit und dem Schulungssystem, bereits zum Ende ihres Studiums entschlossen sind, nur im Ausland eine Stelle anzutreten.

Viele polnische Frauen fanden in Deutschland eine Anstellung als Altenpflegerinnen (man schätzt zwischen 200.000 – 500.000). Sie arbeiten im Ausland allein aus der Notwendigkeit heraus, dass sie nur so ihre persönliche und die Situation ihrer Familien verbessern können. Und obgleich die Verdienste besser sind, es an Arbeitsplätzen nicht mangelt, muss man die Arbeitsmigration umfassend aus verschieden Perspektiven betrachten. Die Kinder bleiben im Land zurück; sie fühlen sich verlassen und einsam; oft bleibt auch die Generation der Alten zurück, die auch auf Hilfe angewiesen sein können. An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass es uns gelungen ist, die Gesellschaft für viele Aspekte, die mit diesem Thema verbunden sind, zu sensibilisieren; dies ist u.a. dank unseren ausländischen Partnern gelungen, wie zum Beispiel dem GAW Frauenarbeit und durch gemeinsam durchgeführte Projekte. Im Projektkatalog des Jahres 2014 war ein Projekt der Diakonie Polen enthalten, das sich an Eurowaisen den Kindern von Arbeitsmigranten, richtete. Durch das Angebot unterschiedlicher Formen der Freizeitgestaltung und der Zusammenarbeit mit den örtlichen Pfarrgemeinden und Selbstverwaltungen konnten in Oberschlesien für viele Kinder mit Hilfe der Projekte gute Voraussetzungen geschaffen werden: dass die Kinder sich geborgen fühlten, ihre Interessen fortentwickeln konnten, gewaltfreie Kommunikation lernten und sie ihre Stärken weiter ausbauen konnten.

Unsere gemeinsame Verantwortung besteht darin, auf die Bedürfnisse unserer Mitmenschen einzugehen und ihnen ihre Würde wieder zurückzugeben; dafür sollten wir im Falle der Migranten – Menschen „die auf dem Weg sind“ – besonders sensibel sein. Ich freue mich, dass wir uns die Frage stellen, welche Möglichkeiten es gibt, Ungleichheit, Ausgrenzung und Marginalisierung zu überwinden. Ich freue mich auf den Erfahrungsaustausch und die Berichte aus der bewährten Praxis. Fertige Lösungen müssen wir entsprechend anpassen, viele der heutigen Herausforderungen sind erst in den letzten beiden Dekaden entstanden. Daher ist es wichtig die Herausforderungen umfassend zu betrachten und bei der Umsetzung unserer Ziele zusammen zu arbeiten. Das Motto der Diakonie Polen sind die Worte aus dem Matthäus-Evangelium „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt.25,40). Die biblische Botschaft der Liebe verbindet uns über die Grenzen hinweg. Ungeachtet der uns trennenden Unterschiede dürfen wir uns nicht von den Leiden unserer Mitmenschen abwenden. Ich wünsche uns allen, dass uns diese Worte zu einer lebhaften Diskussion darüber führen ‚wie ,soziale Gerechtigkeit und wie die Würde des Menschen auf allen Ebenen der Gesellschaft gewährleistet werden kann‘. Gleich werden wir Gelegenheit haben, unsere Meinungen zu diesem Thema auszutauschen. Und da wir alle auf irgendeine Weise ‘auf dem Weg sind‘, wünsche ich jedem von uns Gottes Segen für die Umsetzung seines ‚individuellen Glücksrezeptes‘. Danke.

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