„Wir erleben gerade einen Kulturkampf“

Angelika Weigt-Blätgen, Vorsitzende des EFiDPräsidiums und ehemalige Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen, spricht über die Errungenschaften der feministischen Theologie und die Herausforderungen der Zeit. | Interview: Anne Lemhöfer

Wie kann man in dieser sich verändernden Gesellschaft feministische Theologie leben und verbreiten?

Für die feministische Theologie gilt, was für den Feminismus an sich auch gilt: Man muss sie intersektional betrachten. Zumal es nicht DIE feministische Theologie gibt. Die Zeiten, in denen es vor allem darum ging, Frauengestalten aus der Bibel zu erkennen und näher zu beleuchten, sind ja schon lange vorbei. Es geht aber weiterhin darum, denen Gesicht und Stimme zu geben, die marginalisiert sind. Das ist ein politischer Ansatz, und es geht nicht nur um Frauen. Es geht auch um Antisemitismus, um Muslimfeindlichkeit, um die Ausgrenzung der People of Colour.

Welche Errungenschaft ist Ihnen da wichtig?

Die Bibel in gerechter Sprache zum Beispiel halte ich für einen Meilenstein. Ich freue mich, dass viele Pfarrerinnen und Pfarrer da sehr offen sind und sie in ihren Gottesdiensten verwenden, erst neulich habe ich das bei der Taufe meines Enkelkindes erlebt.

Wie geht es Ihnen mit dem aktuellen politischen Backlash des Feminismus? Verzweifeln Sie nicht manchmal, wenn Sie sich an Ihr Feministisches Engagement in den 70ger/80er oder auch 90er Jahren denken, und dann sehen, was heute so passiert?

Verzweifeln gehört nicht zu meinen Herangehensweisen. Nein, ich bin nicht verzweifelt, oft sogar im Gegenteil. Ich sehe, wie viele Bloggerinnen und Instagrammerinnen wir im Bereich der feministischen Theologie haben, und welche multireligiösen Ansätze da zu finden sind. Diese neuen Formate helfen sehr, die feministische Theologie lebendig zu halten. Natürlich stehen wir vor großen Herausforderungen und müssen sehr aufmerksam sein. Die Tradwife-Bewegung etwa sehe ich als sehr problematisch an. Es sollte aber auch nicht so sein, dass wir uns die ganze Zeit nur abarbeiten an solchen Phänomenen. Uns ist einfach zu viel gelungen, und da ist zu viel Lebendigkeit da, als dass man in Verzweiflung geraten sollte. Vieles von dem, wofür wir gekämpft haben, hat sich auch einfach als alltagstauglich erwiesen. Was mir Angst macht, ist etwa der Blick in die USA, wenn ich sehe, wie evangelikale Bewegungen eine der großen Trägerinnen von MAGA sind – und dass auch manche sehr junge Pfarrerinnen und Pfarrer hierzulande in diese Richtung tendieren. Das ist aber ein gesellschaftliches, ein politisches Problem und keines, was sich theologisch lösen lässt.

Hätten Sie je gedacht, dass wir 2025 immer noch über den Paragrafen 218 reden würden?

Ja, das habe ich erwartet. Schon um 1990 herum, zu Zeiten der Wiedervereinigung, hat sich die Bundesregierung vehement dagegen gesträubt, die alte Abtreibungsregelung aus der DDR zu übernehmen. Da wusste ich, dass wir uns wohl auf eine sehr lange Debatte einstellen müssen. Die Ampelkoalition war ja Ende vergangenen Jahres ganz kurz davor, den Paragrafen 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. Bekanntlich kam es trotzdem nicht dazu. Es war gut, dass der Paragraf 216a gefallen ist, das hat mich durchaus hoffnungsfroh gestimmt. Womit ich nicht gerechnet habe, das ist dieser Kulturkampf, zu dem diese und andere Debatten geworden sind. Unsere Kirche darf sich da nicht zur Steigbügelhalterin für rechte Bewegungen machen.

Was erleben wir da gerade?

Was da gerade passiert, nicht erst durch die Ablehnung der designierten Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf, ist ein Kulturkampf, wie er bisher nicht denkbar war. Selbst Organisationen wie der Deutsche Juristinnenbund zeigen sich entsetzt. Es geht um Macht über Frauen, und um die zu erreichen, ist der Paragraf 218 nur einer von vielen Hebeln; bald wird es mit dem gleichen Ziel um andere Themen gehen. Es ist mir unbegreiflich, wie sich die Bundesregierung gegen den Wunsch von 80 Prozent der Bevölkerung stellt, die Abtreibung straffrei sehen wollen.

Was waren Ihre politischen und auch persönlichen Kämpfe als junge Pfarrerin?

Als ich 1974 mit dem Theologiestudium angefangen habe, galt noch teilweise das alte Pfarrerinnengesetz. Frauen verloren ihre Pfarrstelle, wenn sie heirateten, und sie durften nicht alleine eine ganze Pfarrstelle besetzen, sondern nur gemeinsam mit einem männlichen Pfarrer. Für Ehepaare gab es aber höchstens eine ganze Pfarrstelle. „Wir geben in eine Ehe nur eine Pfarrstelle“ hieß es in der westfälischen Synode. Nun bin ich aber gar nicht mit der Absicht ins Studium gegangen, Pfarrerin zu werden. Ich fand einfach, dass die Theologie spannende Perspektiven bot, die ich so in keinem anderen Fach gefunden habe. Das Pfarrerinnengesetz war dann bald Geschichte, aber es waren noch einige Kämpfe nötig, die feministische Theologie etwa in der Prüfungsordnung zu verankern. Wir hatten damals einen kleinen Studienzirkel in Eigenregie aufgebaut, wichtige Impulse kamen übrigens aus den USA.

Heute ist immer weniger die Rede von zwei Geschlechtern, sondern von vielen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Die feministische Theologie hat sich hin zu einer queeren Theologie entwickelt, das ist auch für EFiD ganz wichtig. Wir sind queerfreundlich, armutssensibel, intersektional und rassismuskritisch, auch im Sinne einer „critical whiteness“. Das alles ist für unser Selbstverständnis zentral. Ich glaube, wir sind da schon sehr gut unterwegs, diesen Weg wollen wir natürlich auch in der Zukunft gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen weitergehen.

Angelika Weigt-Blätgen ist Vorsitzende des EFiD-Präsidiums und ehemalige Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen. | Foto: Antje Schrupp